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Rosen, Tulpen, Nelken: Reime fürs Poesiealbum

Ich habe mich auf die Suche nach meinem Stammbuch gemacht. Gefunden habe ich dabei viel mehr als nur ein paar Sprüchlein.

Symbolbild
Symbolbild

"Wenn Regentropfen
dir ans Fenster klopfen,
dann denk still bei dir,
dass es Grüße sind von mir."

Das hat mir einst mein Großvater mit zittriger Hand ins Stammbuch geschrieben und damals hab ich noch darüber schmunzeln müssen und gleich wieder weitergeblättert. Heute ertappe ich mich manchmal bei Regenfall, dass ich an das Sprüchlein denke und an meinen Opa, der mit meiner Oma längst auf einem Wölkchen sitzt und mir offenbar grad liebe Grüße runterschickt. Es könnt ja wirklich so sein, was weiß man schon? Verziehen hat er mir vermutlich längst, dass ich als Teenager - da war das Stammbuch schon nicht mehr wichtig - mit ihm über seine Zeit im Krieg geschimpft hab. Weil ich nicht verstanden hab, warum er da mitgemacht hat. Als hätt' er sich die Gefangenschaft in Russland freiwillig ausgesucht.

Für diese Geschichte habe ich mir vorgenommen, mein Poesiealbum - oder wie wir damals dazu gesagt haben: mein Stammbuch - zu finden. Viele Umzüge hat es mitgemacht, irgendwo muss es ja sein. Ich weiß es noch ungefähr, wie es ausgesehen hat: zwei Häschen auf dem Titelbild in einer rosaroten Umrandung. Ganze Päckchen an Briefen von Brieffreundinnen tauchen beim Suchen wieder auf, mit Schilling-Marken frankierte Ansichtskarten von Schulfreundinnen. Später werde ich auch deren Gedichte in meinem Stammbuch entdecken. Denn nach langer Suche taucht es schließlich doch auf, das rosa Hasen-Buch, hinter all den Büchern, die ich als Mädchen so gern gelesen hab, in einer Kiste versteckt.

"Alles Gute für dein Leben", hat mir meine Deutschlehrerin darin am Ende ihrer Zeilen schlicht gewünscht und dies erscheint mir heute, 35 Jahre später, bedeutungsvoller, als es einst wohl gemeint war. Mein Klassenvorstand hat mich schon damals durchschaut: "Eine ernste Sache mit Humor betrachtet heißt noch lange nicht, ihren Ernst zu verkennen."

Dass meine beste Schulfreundin ihren Eintrag mit "zur Erinnerung an deine Freundin Edith" beendete, erscheint mir heute nahezu prophetisch. Edith, ich denke wirklich oft an dich, wo auch immer du jetzt alle zum Lachen bringst. Hätten wir damals schon sogenannte Freundebücher gehabt, so wie meine Kinder heute, könnte ich jetzt nachlesen, was du als Volksschülerin werden wolltest, was deine Lieblingsspeise damals war oder was du nicht ausstehen konntest mit neun oder zehn oder elf. Du hättest ein Foto von dir reingeklebt in mein Freundebuch, liebe Edith, und mir vielleicht auch was hineingezeichnet. Aber das hast du ja auch in mein Stammbuch: einen Regenbogen! Und für alle Zeiten habe ich einen Reim von dir, handgeschrieben:
"Bleibe, was du jetzt schon bist.
Werde, was du noch nicht bist.
In diesem Bleiben & diesem Werden
liegt alles Schöne hier auf Erden."

Woher hatten wir bloß immer alle diese Gedichte, wenn es doch damals noch kein Internet gab?

Nicht immer ganz sicher in unserer Rechtschreibung waren wir Kinder auch in den 1990er-Jahren, erkenne ich beim Wieder-Lesen: Da konnte dem Monat März schon mal der Umlaut abhandenkommen und dem "das" oder "den" der Doppelkonsonant. Und bei "Ich bin nicht Göthe, ich bin nicht Schiller, ich dichte nicht wie Henry Müller" verzeihe ich meiner Freundin Christina (an die ich nun wirklich gar keine Erinnerung mehr habe, sie muss mir mal in einem Jungscharlager begegnet sein), dass ihr die Namen Goethe und Miller als Elfjährige bestimmt noch überhaupt nichts gesagt haben. Ich hoffe unbekannterweise, dass sie diese Bildungslücke in späteren Jahren geschlossen hat.

Darüber hinaus bin ich fast froh, dass mir nicht ausgerechnet besagte Christina den Evergreen-Spruch ins Stammbuch geschrieben hat:
Rosen, Tulpen, Nelken,
alle Blumen welken.
Nur das (sic!) eine nicht,
das heißt Vergissmeinnicht.

Eine andere Freundin hat sich mit einem Vierzeiler unter dem Titel "Poesi!" verewigt, sie hat mir verschnörkelte Herzchen und Blümchen an den Rand gemalt und ihre Zeilen mit Pickerln verziert.

"Der Fleiß in deinen Jugendtagen,
wird später gold'ne Früchte tragen.
Drum nutze treu den Augenblick,
verlohr'ne Zeit kehrt nie zurück."

Diese Zeilen hat mir zu guter Letzt meine Firmpatin ins Stammbuch geschrieben. Wir haben sie diese Woche zu Grabe getragen.