First things first:
Vielen Dank an das Mozarteum Orchester! Sie beweisen, was Nina Chruschtschowa gerade formuliert hat:
"Art is idealistic. It is optimistic. It is liberating. And it is more often than not showing us the way."
Mrs. Chruschtschowa, thank you for sharing these insightful thoughts. We are very honored to have you here in Salzburg.
Meine Damen und Herren!
Manche erwarten, dass ich bei Anlässen wie diesen ordentlich austeile. Aber wissen Sie was? Es wird schon genug geschimpft.
Also:
Alles gut. Die Politikerinnen und Politiker in der ersten Reihe können sich entspannen.
Probieren wir stattdessen etwas aus. Ein kleines Gedankenexperiment: Wenn Sie Ihre Augen schließen - nein wirklich, machen Sie ruhig mit, trauen Sie sich - und sich unser schönes Österreich vorstellen, was kommt Ihnen da in den Sinn?
Möglicherweise sehen Sie ein malerisches Dorf in den Alpen mit einer Schützenkompanie. Einen Fiaker auf Kopfsteinpflaster. Oder angezuckerte Berge und grüne Wiesen. Vielleicht auch Falco mit Mozart-Perücke.
Oder, wenn Sie ein klein wenig schummeln und sich hier in Salzburg umschauen: eine historische Festung auf einem Hügel.
Nun.
Ist Österreich tatsächlich so, wie es den Tausenden Besucherinnen und
Besuchern draußen vorm Festspielhaus gezeigt wird?
Mozart, Lederhosen, Festung - sind das unsere größten Stärken? Macht uns
irgendetwas davon fit für die Zukunft? Sind das wirklich wir?
Oder sind wir nicht doch mehr als das?
Ich weiß, Österreich ist mehr als das. Als ich einmal gesagt habe: "So sind wir
nicht", haben mir viele Menschen in Österreich zugestimmt.
Ich würde Sie gern einladen, das Ganze umzudrehen. Wer sagt, was er nicht
will, sollte auch immer eine Antwort darauf haben, was er will.
Also fragen wir uns doch:
Wie sind wir denn? Wie wollen wir sein?
Wie schaffen wir es - mit all unseren typisch österreichischen Stärken -, dass
wir kein bedrohliches Bild von der Zukunft haben, sondern ein schönes?
Dass sie zu einem Ort wird, vor dem wir uns nicht fürchten müssen, weil wir
wissen: Ach, wir machen das schon.
Selbstverständlich ist Österreich auch Alphorn und Mozart und Apfelstrudel und
alles, was Ihnen sonst mit geschlossenen Augen einfällt.
Aber:
Ich finde, da ist noch mehr.
Da wäre zum Beispiel unsere Neugier.
Klar, ab und zu sind wir ein bisschen zu neugierig, wollen wissen, was bei den
Nachbarn gerade los ist.
Aber wir hinterfragen eben, was andere antreibt. Woher etwas kommt. Wie
etwas funktioniert. Warum etwas ist, wie es ist. Nicht umsonst gibt es so viele
österreichische Nobelpreisträger:innen.
Oder nehmen Sie unsere Geselligkeit.
Wir müssen gut aufpassen, dass wir es nicht übertreiben damit. Stichwort
Freunderlwirtschaft. Da fällt mir auch die oft zu geringe Distanz zwischen
Politik und Medien ein.
Aber es ist auch unsere Geselligkeit, durch die wir zusammenkommen. Ob
beim Fußballverein oder bei den Festspielen.
Wir wissen, zusammen bringen wir mehr weiter. Und lustiger ist es auch.
Und wenn es Streit gibt, lassen wir das ungern so stehen. Lieber reden wir
miteinander. Wir raufen uns immer irgendwie zusammen und finden einen
guten Kompromiss. Manchmal sogar noch bevor überhaupt die Streitfrage
geklärt ist.
Ein friedliches Miteinander ist uns viel wert.
Was uns auch auszeichnet, ist ein gewisser Pragmatismus.
Oder wie er in Österreich noch genannt wird: Durchwurschteln.
Man kann das jetzt belächeln, aber es bedeutet auch, dass wir nicht trotzig
beharren, sondern flexibel sind, wenn etwas Neues um die Ecke kommt.
Und dass wir praktische Lösungen suchen, die gut umsetzbar sind - und am
Ende für alle passen.
Und - hier in Salzburg liegt das ja auf der Hand - wir mögen das Schöne,
die große Inszenierung.
Manchmal so sehr, dass wir uns zu leicht davon ablenken lassen. Von der
großen Show. Dem Aufregenden.
Das liegt aber auch daran, dass wir das Schöne einfach überall sehen.
Wir sehen es in der Musik, in der Kunst, in der Wissenschaft und in Menschen
selbst.
Ja, wir finden das Schöne sogar im vermeintlich Schiachen.
Darum sind wir auf unseren Grant mindestens genauso stolz wie auf unsere
Gastfreundschaft.
Meine Damen und Herren!
Vor genau einem Jahr an genau diesem Ort habe ich Sie eingeladen, Ihre
Augen zu öffnen und Ihren Blick zu schärfen für die vielen guten Beispiele, die
es in unserem Land gibt.
Tun wir das also einmal gemeinsam.
Ich sehe Freiwillige, die Tag und Nacht den Schlamm aus überfluteten Kellern
ihrer Nachbarn schaufeln.
Ich sehe, wie sich eine ganze Ortschaft zusammentut, entgegen aller
Erfolgswahrscheinlichkeit, um ein Gasthaus zu retten.
Ich sehe Erwachsene, die ehrenamtlich Kindern einen besseren Start ins
Leben ermöglichen.
Und Menschen, die anderen in schwierigen Lebenssituationen dabei helfen,
wieder ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ich sehe, wie Menschen, für die Österreich selbst erst vor Kurzem zur neuen
Heimat geworden ist, andere dabei unterstützen, sich hier zurechtzufinden.
Ich sehe, wie Jugendliche und Kinder sich querstellen, wenn ihnen etwas nicht
passt. Die ihr Recht auf eine lebenswerte Zukunft, auf einen lebenswerten
Planeten, lautstark einfordern.
Ich sehe Nachbarn, die füreinander einkaufen gehen. Familien, die sich
umeinander sorgen. Menschen, die andere pflegen.
Kolleginnen und Kollegen, die ohne zu zögern füreinander einspringen.
Eltern, die Extraschichten schieben und am nächsten Tag noch ihre Kinder von
der Schule holen.
Meine Damen und Herren,
wir alle sehen es Tag für Tag: Das alles ist Österreich auch. Das alles
können wir auch. So sind wir auch.
Wenn ich heute von all unseren österreichischen Eigenschaften spreche, hat
das einen Grund:
Wir stehen vor vielen großen Entscheidungen. Und da meine ich nicht nur
die Nationalratswahl im September.
Klima.
Energie.
Migration.
Sicherheit.
Friede.
Freiheit.
Das sind die Themen, über die wir entscheiden müssen.
Entscheiden wir nicht voll Angst. Sondern voll Zuversicht.
In den letzten Jahren ist viel auf uns eingeprasselt. Ich verstehe, dass einem
unwohl ist bei dem Gedanken, was noch alles kommen könnte.
Aber ich versichere Ihnen:
Wir brauchen uns nicht zu fürchten. Die Zukunft ist für uns ein schöner
Ort. Weil wir so viel mitbringen.
Wir brauchen auch keine Angst haben. Politik darf gerne auch mal fad sein.
Politik kann sich gern als Problemlöserin verstehen - und nicht als Show. Die
meisten würden das sicher gut finden.
Wir brauchen auch keine Angst haben vor großen Gedanken oder großen
Reformen oder großen Ideen. Setzen wir uns ruhig hohe Ziele! Wir halten alle
Trümpfe in der Hand, sie auch zu erreichen.
Wir brauchen auch keine Angst davor haben, dass wir Teil von etwas
Größerem sind: der EU. Wir können sie selbstbewusst mitgestalten - und auch
konstruktiv kritisieren. Wie es in einer guten Nachbarschaft üblich ist.
Wir brauchen keine Angst haben. Wir können uns auf die Zukunft freuen.
Denn:
Wir sind Österreich. Wir machen das schon.
So.
Das, worüber ich jetzt zwölf Minuten gesprochen habe, hat Franz Grillparzer in
einem Satz auf den Punkt gebracht. Er lautet:
"Es ist ein gutes Land."
Ich wollte Sie nur daran erinnern. Und damit sind die Salzburger Festspiele auch schon eröffnet.