Krass ist bei Valentina Höll keine temporäre Zustandsbeschreibung, krass ist ihr Leben - und eines ihrer Lieblingswörter. Auf ihrem Instagram-Profil beschreibt sich die Downhill-Weltmeisterin bescheiden als "Sometimes Professional DH Athlete", ihren 168.000 Followern zeigt sie in regelmäßigen Abständen, was sie so draufhat, wenn sie einen Berg hinunterrast. Vier Mal hat sie die World Championship im Downhill gewonnen, zwei Mal den Gesamtweltcup. Und das in einer Disziplin, in der erst seit Kurzem Frauen ganz vorn mitmischen.
Erst beobachten, dann davonfahren
Die Liebe zum Sport gaben ihr die Eltern mit auf den Weg. In der Bikerszene hatten sie sich kennengelernt, Mama Sabine, gebürtige Münchnerin, und Papa Walter aus Saalbach. Als die Eltern das dortige Spielberghaus übernahmen, wo regelmäßig "Biker-Pros", also Profifahrer, Halt machten, stellte Valentina für sich fest: Dieser Sport ist nicht nur cool, man kann damit sogar Geld verdienen.
Mit elf Jahren fuhr sie ihr erstes Kinderrennen, und das gemeinsam mit den Buben, weil eine Startkategorie für Mädchen nicht vorgesehen war. Für Vali Höll kein großes Problem, schließlich war sie die gesamte Volksschulzeit über das einzige Mädchen in der Klasse gewesen. Sie erinnert sich noch gut an die Autofahrt, als ihr der Vater einbläute, nicht zu enttäuscht zu sein, sollten ihr die Buben davonfahren. Die Realität sah aber ohnehin anders aus: Während die Burschen wild losstürmten, beobachtete sie erst einmal und fuhr dann erst weg - ohne die Fehler, die die anderen gemacht hatten. Eine Eigenschaft, die sie bis heute auf Stockerlplätze führt.
Eigentlich übte Vali Höll zwei Leidenschaften parallel aus, im Winter fuhr sie Ski, im Sommer mit dem Mountainbike. Die Eltern unterstützten beides. Irgendwann fiel aber die Entscheidung zugunsten des Bikens, wo sie eine Spur begabter war, zudem fand sie die Community lässiger und die Eltern weniger ehrgeizig-stressig als bei den Nachwuchsskifahrern. Der Vater fuhr sie sieben Jahre lang zu Wettbewerben, während die Mutter das Spielberghaus schupfte und beim zehn Jahre jüngeren Bruder Joni blieb.
Schräg für Valentina Höll: Zuerst Weltcupsieg, dann Schularbeit
Die Wochenenden waren von da an ausgefüllt mit Trainings und Rennen. Das erste eigene Geld verdiente Vali Höll schon mit 16 Jahren, und während Freundinnen und Freunde für ihr Geld "richtig" arbeiten mussten, fuhr sie zum Training nach Frankreich oder flog dazu in die USA. Als Arbeit sah sie das lange Zeit nicht an, schließlich lernte sie neue Länder und Kulturen kennen und konnte neue Freundschaften knüpfen. Erst später wurde ihr klar, dass Arbeit durchaus Spaß machen und auch Geld einbringen kann. Worauf die Eltern großen Wert legten: dass Schule Priorität haben müsse. "Es war manches Mal schon schräg: Am Wochenende gewinnst du den Weltcup und am Dienstag schreibst du eine Französischschularbeit." Valentina Höll maturierte, auch auf elterliche Empfehlung hin. Man weiß ja nie, was kommt, noch dazu in einer Branche, in der Karrieren in der Regel nach zehn oder fünfzehn Jahren zu Ende sind.
Eigentlich hat die Sportlerin jetzt schon alles erreicht - mit 22 Jahren. Dann auch wieder nicht, sagt sie, "ich bin ja selten wirklich zufrieden. Obwohl ich schon dazugelernt habe und heute meine Leistungen mehr wertschätzen kann." Ihr Job ist weit mehr, als nur möglichst schnell einen Track hinunterzurasen. Immerhin hängt die finanzielle Existenz einiger Menschen davon ab, dass sie Spitzenleistungen vollbringt: zwei Trainer, ein Mechaniker, der zugleich auch ihr strategischer Berater bei der technischen Streckenplanung ist, ein Mentalcoach, eine Ernährungsberaterin. Bis vor Kurzem erfüllte noch der Vater all diese Rollen in Personalunion, nun kümmert sich ein ganzes Team um das Wohl der 22-Jährigen.
Dieses Wissen um Leistungen, die erbracht werden müssen, stresst. Gerade in der Zeit, in der Vali Höll in die Elitemannschaft kam und es für sie nur eine Richtung gab, nämlich steil nach oben, kam es zu vielen Stürzen und es galt zu lernen, Niederlagen einzustecken. Die Bikerin spürte die Sackgasse, in der sie steckte. "Ich hatte das Gefühl, ich muss gewinnen, weil das von mir erwartet wird. Ich wollte nur Resultate sehen und habe nicht gecheckt, dass ich mich in der Elite erst eingrooven muss." Eine ältere Teamkollegin nahm sie zur Seite und schlug ihr vor, gemeinsam auf Urlaub nach Italien zu fahren, um ungezwungen zu biken, ohne Trainingshintergrund. Dabei konnte sich die Sportlerin vieles vom Herzen reden, daraus folgte eine wichtige Erkenntnis: Es ist nicht die sportliche Leistung, weswegen sie gemocht wurde, sondern weil sie eben ist, wie sie ist.
Respekt hilft Vali Höll, im Moment zu sein
Valentina Höll überlässt nichts dem Zufall. Steht ein Wettbewerb an, so gibt es zunächst einen Track Walk, eine Begehung der Strecke. Meist begleitet sie ihr Mechaniker, gemeinsam planen sie, wie die Strecke gefahren werden soll und welche Optionen es gibt, sollte sich beispielsweise die Witterung ändern und damit die Streckenbedingungen. Es geht um Fragen wie: Wo landet man bei großen Sprüngen? Woran orientiert man sich bei blinden Spots, woran bei schwierigen Stellen? Diese fotografiert sie und wenn vor dem Rennen nachts der Schlaf auf sich warten lässt, geht sie die Fotos durch und überlegt sich Taktiken.
Ob sie Angst empfindet? "Angst nicht, aber Respekt. Das hilft mir, dass ich voll im Moment bin. Wenn ich mich nicht zu 99 Prozent wohlfühle, nehme ich die langsamere Linie. Die ermöglicht vielleicht sogar, dass ich schneller reinfahren kann und Zeit gewinne." Ihr Credo: nicht mehr wie zu Beginn krass, sondern kalkulierbar zu fahren.
Freunde über den ganzen Globus
Vali Hölls Tag ist klar strukturiert mit zwei Sporteinheiten, morgens beginnt sie mit Fitness und Gym, am Nachmittag steht Ausdauer auf dem Programm, mit 75 bis 90 Minuten Radfahren. Einen Tag pausiert sie. Seit heuer hat sie ein neues Team, statt Trek fährt sie nun YT-Industries-Bikes. Für die Ausstatter testet sie zudem neues Material, auch das gehört zu ihrem Job. Ihren Lebensmittelpunkt hat sie mittlerweile nach Innsbruck verlegt, wo sich auch viele ihrer Pinzgauer Freunde niedergelassen haben. Ihr Netzwerk ist enorm gewachsen, sie hat Freunde über den gesamten Globus, pflegt aber genauso Freundschaften aus den Kindertagen. Manche davon fahren mehrere Stunden, um bei ihren Wettbewerben dabei zu sein. Auch wenn ihre Wege in der Schulzeit nicht immer parallel verliefen; während die einen feierten, blieb Vali lieber daheim, um bei den Trainings am Samstag und Sonntag fit zu sein.
Im Nachhinein und mit Blick auf die gemachten Erfahrungen der letzten Jahre mit neuen Ländern und Menschen relativierte sich auch einiges in Vali Hölls Leben. Die Erfahrungen schärften ihren Blick auf die Gesellschaft und freilich auf die Umwelt. Selbstkritisch fügt sie hinzu: "Wir Biker fliegen viel, das ist nicht so super für das Klima. Aber wir können junge Menschen zum Sport motivieren, das ist auch wichtig." Biken sei immerhin zum Breitensport geworden. Umso weniger versteht die Athletin, dass in manchen Regionen, die klimawandelbedingt von Schneemangel betroffen sind, starr am Skisport festgehalten wird. Man könne ja ab der Mittelstation Bikeparks errichten oder zumindest das Radeln erlauben, "in Österreich ist man als Biker fast überall illegal unterwegs".