Zur Eröffnung des Salzburger Theaterherbsts bringt das Theater ecce die Shakespeare-Tragödie "König Lear" auf die Bühne. Gute vier Wochen vor der Premiere am 11. September gehen die Proben in die heiße Phase: Ein paar Stühle sind in dem Raum im leer stehenden City Center am Salzburger Hauptbahnhof verteilt, der einmal die Zuschauerränge beherbergen wird, das Probenlicht leuchtet die Fläche, auf der die Schauspieler stehen, spärlich aus. Noch im Entstehen ist das reduzierte schwarz-weiße Bühnenbild, das in seiner Klarheit einen optischen Kontrast zu dem bilden wird, was im Stück passiert.
Jurij Diez: Flexibilität sichert Schauspielkarriere trotz Krise
Ein erster Hinweis auf die Kostüme ist das Schuhwerk: "Es ist wichtig, dass wir schon von Beginn an ein Gefühl für die Gangart des Charakters bekommen", erklärt Jurij Diez, während er auf seine schwarzen Lackschuhe hinabblickt. Der ursprünglich aus Kasachstan stammende Deutschrusse, der den Parade-Intriganten und Karrieristen Edmund gibt, ist seit 2005 Teil des Theater-ecce-Ensembles. Seit er 16 ist, arbeitet er am Theater, besucht gleichzeitig die Schauspielschule in Russland. Als er 2002 nach Deutschland kommt, ist es mit der Karriere vorerst vorbei. "Ohne die Sprache zu beherrschen, ist es unmöglich, an Rollen zu kommen", erzählt der 43-Jährige. "Die Branche ist da sehr konservativ. Nur ab und zu besetzt einmal ein Theater so jemanden für ein Imageprojekt." Doch Diez lässt nicht locker, knüpft Kontakte, jobbt in freien Projekten quer durch Deutschland, einmal da zwei Monate, einmal dort drei. Durch seine Auftritte mit einer Improtheatergruppe gelangt er schließlich an seine erste Rolle bei Theater ecce: in "Schuld und Sühne", einem russischen Klassiker, bei dem es sogar von Vorteil ist, dass Diez die Figur in seiner Muttersprache anlegen kann. "Als Spaßvogel habe ich das schwere Stück aufgelockert. Da brauchte es für das Publikum nicht einmal eine Übersetzung, um den Part zu verstehen."
Mittlerweile hat Diez Fuß gefasst, sich sprachlich weiterentwickelt, spielt in bis zu sieben Stücken pro Jahr, gibt Workshops, inszeniert selbst, wirkt in Filmen mit. Kurz: Er kann von der Schauspielerei leben. "Es braucht Flexibilität angesichts von Herausforderungen", verrät er sein Erfolgsrezept. Gerade die Coronapandemie sei eine erneute Härteprüfung gewesen, mit fehlenden Aufträgen und Kürzungen im Kulturbereich. "Die Branche hat sich nicht mehr erholt", ist er überzeugt. "Die Leute überlegen heute, ob sie ins Theater gehen oder sich etwas Gutes zu essen kaufen." Zukunftstechnisch sei das eine Katastrophe, ist doch die Kunst ein essenzieller Bildungsbaustein. "Auf der Bühne geht es letztlich darum, Menschen dazu zu bewegen, über Lösungen für ein besseres Miteinander nachzudenken."
Theater ecce inszeniert gesellschaftspolitisch
Das gilt ganz besonders für das Theater ecce, das einen explizit gesellschaftspolitischen Anspruch hat, inklusiv, partizipatorisch und international besetzt ist. "‚König Lear' ist 400 Jahre alt, aber in einer Welt, die immer mehr aus den Fugen gerät, hat man das Gefühl, das Stück wurde gestern geschrieben", begründet der künstlerische Leiter und Regisseur Reinhold Tritscher, warum die Wahl für die Herbstproduktion gerade auf dieses Stück fiel.
Salim Chreiki: "Ich kann nicht anders, als Künstler zu sein."
Die Tragödie erzählt vom Niedergang und Zerfall eines Königreichs. Mit Salim Chreiki gibt es einen zweiten Schauspieler im Ensemble, der selbst erlebt hat, was es heißt, zwischen allen Stühlen zu sitzen, seinen Platz in einem anderen Gesellschaftssystem neu zu finden. In "König Lear" spielt der gebürtige Syrer die Titelrolle, einen starrköpfigen Regenten, der sich schwer damit tut, abzudanken und sein Reich unter seinen Töchtern aufzuteilen. Die Rolle spielt der 66-Jährige auf Arabisch, seine ausdrucksstarken Augen und die Gestik lassen erahnen, was er von sich gibt. Bei der Aufführung wird die deutsche Übersetzung dann über eine Videowall eingeblendet.