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Worauf es bei der Schulwahl ankommt

Der Wechsel ihres Kindes von der Volksschule in die weiterführende Schule bereitet Eltern großes Kopfzerbrechen. Was ein Experte empfiehlt.

Gunter Bittner ist der Vorsitzende der Bildungsplattform Leistung und Vielfalt.
Gunter Bittner ist der Vorsitzende der Bildungsplattform Leistung und Vielfalt.

Viele Familien stehen in den nächsten Monaten vor einer wichtigen Entscheidung. Sie müssen die Frage klären, wie es für ihr Kind nach der vierten Klasse Volksschule weitergehen soll. Als Entscheidungshilfe laden die Mittelschulen und Gymnasien jetzt im Herbst zu den Tagen der offenen Tür ein. Die SN sprachen mit Gunter Bittner, dem Vorsitzenden des Vereins Bildungsplattform Leistung und Vielfalt. Dessen Ziel ist, dass alle Schularten optimal ihrer Aufgabe gerecht werden können.

In der Stadt Salzburg ist der Anteil der Kinder, die nach der Volksschule in ein Gymnasium gehen, im Vergleich zu den anderen Landeshauptstädten mit 66 Prozent am höchsten. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung? Bittner: Das ist keine gute Entwicklung, weder für den guten Mix an Schülerinnen und Schülern in den Mittelschulen noch für die Gymnasien, weil dort oft Kinder sitzen, die eigentlich nicht dafür geeignet sind. In anderen Bundesländern ist der Drang ins Gymnasium nicht so stark. In Wien besuchen von allen Kindern in der Sekundarstufe I knapp 47 Prozent eine AHS-Unterstufe. In St. Pölten sind es rund 50 Prozent.

Für welche Kinder ist das Gymnasium tatsächlich geeignet?
Die Kinder sollten die Lehrplanerfordernisse der vierten Klasse Volksschule zur Gänze erfüllen, insbesondere in Deutsch und Mathematik. Problematisch ist, wenn sich ein Elternteil am Nachmittag stundenlang mit dem Kind hinsetzen muss, damit es die Hausübung bewältigt. Wenn sich Eltern mit dem Kind außerordentlich lange beschäftigen müssen, was Schule betrifft, und häufig quasi eine heimische Nachhilfestunde geben müssen, dann ist die Eignung fürs Gymnasium für mich nicht gegeben.

Wie sehr sollten Eltern bei der Auswahl der Schule der Einschätzung der Volksschullehrerin oder des -lehrers vertrauen?
Eltern können ihnen insofern vertrauen, dass sie sich in den vier Jahren ein gutes Gesamtbild von dem Kind gemacht haben. Was die Benotung betrifft, habe ich Zweifel. Auf dem Lehrpersonal lastet der Druck der Eltern, die sagen, mein Kind muss gute Noten haben, damit es ins Gymnasium kommt. Die Lehrer selbst haben oft das Gefühl, dass sie dem Kind nicht die Zukunft verbauen wollen. Dass sie genau das mit geschenkten Noten tun könnten, bedenken sie nicht, denn wenn sie Kinder ins Gymnasium loben, kann es sein, dass die Kinder dort überfordert sind, von einem Misserfolg zum nächsten taumeln und in die Nachhilfefalle tappen.

Viele Eltern glauben, dass ihre Kinder ohne Matura keinen Erfolg im Leben haben werden. Scheitern Kinder oft an den Wunschvorstellungen der Eltern?
Ja. Die meisten Kinder, die am falschen Platz im Gymnasium sitzen, haben Eltern, die ihren Ehrgeiz auf das Kind projizieren. Es stimmt nicht, dass sich junge Menschen ohne Matura alle Chancen verbauen. Die Matura wird zu Unrecht angebetet wie das goldene Kalb. Ein Lehrberuf öffnet jungen Menschen große Chancen. Man sieht überall, wie erfolgreich Handwerkerinnen und Handwerker aller Sparten sind. Sie können ihre Kreativität ausleben, verdienen sehr gut und führen ein befriedigendes und erfülltes Leben. Ein HTL-Direktor hat einmal von der "Intelligenz der Hand" gesprochen. Das österreichische Bildungssystem ist differenziert und durchlässig. Es bietet für alle Begabungen, Interessen und Neigungen ein Angebot.

Wie viele Schulen sollten sich Eltern mit ihren Kindern anschauen?
Ich halte die Tage der offenen Tür und ein Gespräch mit der Schulleitung für das beste System bei der Schulauswahl. Ich würde drei bis fünf Schulen in die engere Wahl nehmen und gemeinsam mit dem Kind anschauen. So sieht man, wie das Kind auf die Schule reagiert und ob es sich dort wohlfühlt. Am Tag der offenen Tür zeigen die Schulen das komplette Angebot.

Wie sehr sollen Eltern bei der Entscheidung auf den Wunsch des Kindes hören?
Eltern sollen das Kind unbedingt miteinbeziehen und beraten. Falls sich ein Kind trotz aller Argumente vehement gegen die Wunschschule der Eltern wehrt, würde ich nicht gegen seinen Willen entscheiden.

Viele Kinder wollen unbedingt in dieselbe Schule gehen wie die besten Freunde aus der Volksschule.
Ich würde versuchen, den Kindern klarzumachen, dass das nicht das Kriterium bei der Auswahl der Schule ist, und dass sie auch in der neuen Schule ganz bestimmt Freunde finden. Das Kriterium muss sein, welche Schule am besten den Begabungen des Kindes entspricht.

Wie wichtig ist für die Entscheidung der Schulweg?
Der Schulweg ist nicht so relevant wie in der Volksschule. Aber am Land ist die Mittelschule meistens die nächstgelegene Schule, das hat viele Vorteile, zumal es am Land gute Mittelschulen mit tollen Schwerpunkten gibt. Nehmen wir zum Beispiel Abtenau. Das nächste Gymnasium ist in Hallein, da fährt das Kind jeweils eine Stunde hin und zurück, das würde ich ihm nicht zumuten. Als ich noch im PG St. Ursula in Salzburg unterrichtet habe, hatten wir in der Oberstufe oft Jugendliche aus der Mittelschule in Abtenau, das waren ausgezeichnete Schülerinnen.

Wie sehr sollten sich Eltern vom Ruf leiten lassen, den eine Schule genießt?
Darauf würde ich nicht so viel geben, man muss sich die Schule anschauen. Es gibt immer Schulen, die in Mode sind.

Wie sollen Eltern entscheiden, deren Kind noch nicht sehr selbstständig und organisiert ist?
Kinder lernen das in der neuen Schule meistens rasch. Wichtiger ist, dass Kinder soziale Kompetenz mitbringen - das gilt für jede Schule.

Wie können Eltern ihre Kinder in der neuen Schule gut begleiten?
Ein geregelter Tagesrhythmus und ausreichend Schlaf helfen dem Kind. Die Schulsachen sollten schon am Vorabend vorbereitet sein. Wichtig ist, mit dem Kind einen guten Gesprächskontakt zu halten. Buben sind oft weniger auskunftsfreudig als Mädchen.

Wie erkennen Eltern die Stärken ihres Kindes?
Lehrer und Eltern haben in Salzburg das 2016 erstmals an Pilotschulen erprobte und vom Land finanzierte Instrument des Stärkenkompasses als Entscheidungshilfe geschätzt. Unabhängige Berater haben getestet, auf welchen Gebieten die Kinder ihre Stärken haben. 2019 wurde dieses Instrument gestoppt. Mittlerweile gilt bundesweit in Volksschulen und Sekundarstufenschulen die Individuelle Kompetenzmessung plus. Sie testet, in welchem Ausmaß das Kind die im Lehrplan festgelegte Kompetenz in Deutsch, Mathematik und Lesen erfüllt. Der Stärkenkompass hat darüber hinaus im sprachlichen Bereich Schreiben und Fremdsprachen sowie die naturwissenschaftlichen (Physik, Chemie, Biologie), technischen (Mechanik, Informatik), musischen (Musik, Bildnerisches Gestalten) und sportlichen Bereiche getestet. IKM plus ist vor allem eine Rückmeldung für das System, inwieweit die Schüler die Lernziele erreicht haben.

Gunter Bittner unterrichtete von 1981 bis 1997 am PG St. Ursula in Salzburg. Danach war er 17 Jahre lang Direktor des BRG in Salzburg. 2014 wechselte er in den früheren Landesschulrat. Von Dezember 2019 bis August 2020 war er in der Bildungsdirektion mit der Leitung des Bereichs Pädagogischer Dienst betraut. 2021 ging er als Leiter der Bildungsregion Nord in Pension. Bittner unterrichtet in der Pension Deutsch als Fremdsprache.

Sie wollen mehr über das Thema Schule und Weiterbildung wissen? Dann lesen Sie weitere Artikel in der SN-Beilage „Journal Schule“ – ab 20. Oktober kostenlos im E-Paper oder in der SN-App.

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