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Alles zu seiner Zeit beim Wohnen

Was braucht der Mensch zum Wohnen - und was ist in welcher Lebensphase überhaupt notwendig? Eine Spurensuche.

Architektin und Professionistin im Erspüren der Wünsche ihrer Kundschaft: Ursula Spannberger.
Architektin und Professionistin im Erspüren der Wünsche ihrer Kundschaft: Ursula Spannberger.
Zwei Frauen, ein Wohnprojekt namens Silberstreif: Ursula Spannberger und Altersforscherin Sonja Schiff.
Zwei Frauen, ein Wohnprojekt namens Silberstreif: Ursula Spannberger und Altersforscherin Sonja Schiff.

"Andere, neue Arten des Zusammenlebens und -wohnens stehen an. Ein Eigenheim oder gar einen Neubau, das können und wollen sich in Tagen wie diesen längst nicht mehr alle Menschen leisten. Grundstücke sind rar, Ressourcenschonen ist angesagt. Veränderungen bringen immer Möglichkeiten mit sich." Wenn Ursula Spannberger über das Wohnen spricht, dann schwingen bei der Architektin jede Menge Erfahrungen und Visionen mit. Die Salzburgerin ist davon überzeugt, dass es nicht "das Zuhause" gibt, sondern dass sich die Bedürfnisse in Bezug auf das Wohnen im Laufe des Lebens ändern. Sogar mehrmals.

Zuhause ist ein Ort der Geborgenheit

Wenn Spannberger darüber nachdenkt, was ein Zuhause eigentlich ausmacht, dann bringt sie es so auf den Punkt: "Das ist ein Ort, an dem wir uns geborgen fühlen. Dorthin kehren wir von den Kampfschauplätzen in Job und Alltag zurück. Wir müssen uns nicht mehr behaupten und gut aussehen, leistungsfähig sein und lächeln - wir können ankommen und alles fallen lassen. Auch die enge Hose und die hohen Schuhe." Ob ein Mensch null oder hundert Jahre ist, spielt für sie dabei keine Rolle. Wichtig sei nur, wie die Hülle aussieht, die dieses Zuhause umgibt.

Phasenmodell für das Wohnen in jedem Lebensabschnitt

Deshalb weist sie darauf hin, dass es Phasen im Laufe des Lebens gibt, die lange dauern. Etwa, wenn eine Familie gegründet wird und Kinder zur Welt kommen. "Eine Familie vergrößert sich vielleicht auch noch und etwa 20 Jahre lang bleiben die Bedürfnisse aller Involvierten - vor allem nach Platz - sehr ähnlich. Man will das ,Herdfeuer', an dem sich alle versammeln können, und einzelne Rückzugszellen rundherum, denn auch das Für-sich-Sein ist wichtig." In dieser Zeit sei das Quadratmeterbedürfnis am größten.

"Ein Haus kann einem nämlich auch zu groß werden."
Ursula Spannberger
Architektin

Und dann? "Komischerweise ist genau diese Art zu wohnen das Idealbild für die Abschnitte vorher und nachher." Dass ein Überdenken der Lage manchmal befreiend sein kann, erklärt Ursula Spannberger anhand eines Esszimmers. Wenn Paare ohne Kinder zu ihr kommen, um ihren Rat einzuholen, dann stellt sie die Frage, ob die beiden denn oft Gäste hätten. Meist folgt ein Ja. Als Nächstes folgt die Frage nach der Häufigkeit. Ob denn ein, zwei Mal die Woche Freunde bekocht werden. Meist folgt Kopfschütteln. Gäste kommen eher so ein Mal im Monat. Wenn überhaupt. Spannberger weiß dann Bescheid und zeigt Alternativen auf: "Um Chaos in der Küche zu verbergen, braucht niemand ein eigenes Esszimmer. Da reicht oft locker eine halbhohe Trennwand zum Sitzbereich." Doch in vielen Köpfen habe sich das Image festgesetzt, dass beim Wechsel von der Mietwohnung zum Eigenheim repräsentative Räume angesagt sind. Ein Irrglaube, sagt die Architektin. Sie macht sich für ein Phasenmodell stark, das eben für jeden Lebensabschnitt die richtige Wohnsituation parat hat. "Ein Haus kann einem nämlich auch zu groß werden."

Gerade wenn Menschen älter werden, empfiehlt Spannberger den Gedanken an innovative Wohnmodelle wie "Gut überdacht", das in der Stadt Salzburg Platz finden soll. "Es ist revolutionär, weil Jüngere und Ältere, Familien und Leute mit Behinderungen in ein großes Gebäude ziehen und dort ihr Gemeinschaftsmodell leben." Eine sogenannte Sharing Economy, also das Teilen, ist für sie nicht nur ein Schlagwort. Sie argumentiert, dass Besitz teuer sei. Beispiel Bohrmaschine. "Wird sie ein Mal im Jahr gebraucht, dann ist doch ein Gerät pro Mehrparteienhaus-Stockwerk genug!"

Raumwert-Methode zur Ermittlung der Wohnbedürfnisse

Um auf die Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden eingehen zu können, hat Ursula Spannberger die Raumwert-Methode entwickelt. Sie eigne sich deshalb für Paare gut, weil die Partner dabei Dinge übereinander lernten, "von denen sie noch keine Ahnung hatten".

Die Architektin fragt genau nach, was jedem beim Wohnen dient und was behindert. Wer sich vor Planung oder Kauf derart öffne, habe eine große Chance zu merken, wo es Kompatibilitäten gibt und wo Unvereinbarkeiten - und was der Profi gemeinsam mit dem Paar tun kann. "Zuerst mache ich mich an die Diagnose und finde heraus, was bereits vorhanden ist. Erst dann folgen die Wünsche. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass lange zusammenlebenden Paaren dann klar wird, wo Probleme sind", sagt sie.

Einer ihrer Raumwerte bezieht sich etwa auf Nähe und Distanz. "Wo erlaubt mir unser Wohnen Nähe, wo erlaubt es mir Rückzug?" - Fragen wie diese sollen zu einem guten Zeitpunkt geklärt werden.

Ein weiterer Raumwert ist die Außenwirkung. Diese spiele beim Eigenheim freilich eine gewisse Rolle. "Ist mir das wichtig, will ich, dass Menschen erkennen, wie ich bin? Tobe ich mich beim Haus aus oder will ich es neutral halten?" Ganz ohne Rücksicht auf die Menschen in der Umgebung könne ein solcher Prozess nicht vonstattengehen. Denn Spannberger gibt zu bedenken, "dass die Außenwand des eigenen Hauses bereits die Innenwand des Stadtraums für alle anderen ist". Deshalb arbeitet sie wo möglich mit einem guten Maß an Flexibilität und Improvisationsgeist.

Es bedarf neue Arten von Gemeinschaftsräumen, drinnen und draußen

Wann immer es um die Diskussion geht, wie wir in Zukunft wohnen werden und wie sich Ressourcenverschwendung tunlichst vermeiden lässt, ist Ursula Spannberger eine starke Stimme in der Stadt Salzburg. Wohnen in der Stadt ist schließlich mehr, als Menschen in Wohnschachteln zu schlichten.

Wenn sie an südliche Länder denke, falle ihr auf, dass die Leute dort oft recht eng wohnten und auf das Daheim gar nicht so viel Wert legten, wie es hierzulande gern der Fall sei. Dafür nutzen sie die ganze Stadt, halten sich viel draußen auf. Dazu passe der Raumwert "Anziehungspunkte und Verbindungselemente".

Die Entwicklerin der Methode beschreibt: "Wenn ich Wege habe, dann überlege ich, wo der schnellste von ihnen verläuft - oder ich nehme mir Zeit und gehe dort, wo sich ein schöner Platz befindet oder Menschen, die ich treffen möchte. Ein Bankerl im Park oder ein Café kommen dann genau richtig. Im mobilen Alter ist das freiwillige Weg-Wählen eine Freude. Doch in einem anderen Alter und mit Einkaufssackerln in der Hand gewinnt die Bank noch einmal an Bedeutung, weil sie mir eine Pause ermöglicht, bevor es weitergehen kann." Außerdem brauche es - in Salzburg und vielen, vielen Städten - zufällige Sitzgelegenheiten und konsumfreie Areale, die Kommunikation erlauben. "Nicht alle können sich eine große Wohnung mit Terrasse oder Balkon zum Entspannen leisten. Deshalb brauchen wir neue Arten von Gemeinschaftsräumen, drinnen und draußen und auf sehr vielen differenzierten Ebenen."

Auf die Frage, wo Ursula Spannberger selbst als Architektin ansetzen würde, um ausreichend günstigen Wohnraum zu schaffen, antwortet sie: "Das lässt sich nicht mit einem Rezept beantworten. Tatsache ist, dass es nur mehr wenig Baugrund gibt. Deshalb würde ich beim Bewusstsein ansetzen. Gut wäre es, wenn sich viele Leute genau überlegen, ob sie optimal leben. So viele sind in zu großen Wohnungen und Häusern. Geht es ihnen da gut oder halten sie an was fest, das längst nicht mehr passt?"

Ihnen würde sie eine kompetente Beratung ans Herz legen, damit sie sich langsam verändern können und eine geeignete Umgebung zum Leben finden - genau im passenden Umfang.

Dass es allein in der Stadt Salzburg etliche Gebäudeflächen gibt, auf die ohne allzu großen Aufwand aufgebaut werden kann, fügt sie an. Wenn sie den Blick vom Kapuzinerberg herunterschweifen lässt, fallen ihr riesige Parkflächen auf. "Der Außenraum ist das Wohnzimmer der Stadt. Je wärmer es wird, desto mehr werden wir den südlichen Lebensstil leben und Raum brauchen, um draußen Zeit zu verbringen."

Ziel: Silberstreif
Von 100 auf 43 Quadratmeter: In einiger Zeit wird Ursula Spannberger ihre Wohnung aufgeben. Derzeit lebt und arbeitet sie auf rund 100 Quadratmetern. Doch sie wird umziehen, in das Gemeinschaftsprojekt Silberstreif, das gerade entwickelt wird.

Personen über 50 kommen zusammen: Mit dem Umzug in eine kleinere Wohnung gewinnt sie Gemeinschaftsräume sowie Mitbewohnerinnen und -bewohner dazu. Rückzugschancen und Kontaktmöglichkeiten inklusive. Die Baugruppe Silberstreif mietet am Dossenweg in Salzburg-Gneis ein Haus, um proaktiv der Einsamkeit im Alter vorzubauen.

Sie wollen mehr zu dem Thema erfahren? Dann lesen Sie weitere Artikel in der Beilage „Neubau & Eigenheim“ – ab 24. Juni kostenlos im E-Paper oder in der SN-App.

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