SN.AT / Leben / Wohnen

Großes Potenzial der Brachflächen: Künstliche Intelligenz für nachhaltige Nutzung

Geschätzte 130 Quadratkilometer an Gewerbe- und Industrieflächen stehen in Österreich leer. Mithilfe künstlicher Intelligenz und Satellitenbildern soll nun ein genauer Überblick entstehen.

Aus einer ehemaligen Bettwarenfabrik im Süden von Wien wurde ein Gartenfachmarkt.
Aus einer ehemaligen Bettwarenfabrik im Süden von Wien wurde ein Gartenfachmarkt.
Im alten Hallenbad in Feldkirch wird heute musiziert statt geschwommen.
Im alten Hallenbad in Feldkirch wird heute musiziert statt geschwommen.

Österreich ist Europameister im Zubetonieren. Ein Blick von einem Berggipfel in die Täler zeigt das ganze Ausmaß der Bauwut: mit wild zerstreuten, zerfransten Gemeinden, dem dichtesten Straßennetz (15 Meter Straßenlänge pro Kopf, doppelt so viel wie in Deutschland oder der Schweiz), den meisten Supermarktflächen (1,8 Quadratmeter pro Kopf) und wuchernden Gewerbegebieten im ländlichen Raum. Österreichs landschaftliche Schönheit ist gleichzeitig sein Dilemma: Weit mehr als die Hälfte des Staatsgebiets von 83.884 Quadratkilometern besteht aus Wald und Gebirgen - während für die menschliche Nutzung (Wohnen, Betriebe, Verkehr, Freizeit) im Vorjahr gerade einmal 5877 Quadratkilometer zur Verfügung standen. Dies verleitet zum ständigen Zugriff auf neue Flächen: Im Durchschnitt gehen jährlich 41 Quadratkilometer an biologisch produktivem Boden durch Verbauung und Versiegelung verloren (Zahlen vom Umweltbundesamt, der Österreichischen Raumordnungskonferenz, dem EU-Umweltbüro und der Onlineplattform flächenversiegelung.at).

Den Flächenfraß eindämmen

Laut Regierungsprogramm sollen statt der aktuell elf Hektar pro Tag bis 2030 nur noch 2,5 Hektar an frischem Ackerland angegriffen werden. Eines der Tools, dieses Ziel zu erreichen, ist die Wiedernutzung leer stehender Standorte. Dazu haben das Ministerium für Klimaschutz und das Umweltbundesamt den Brachflächen-Dialog ins Leben gerufen. Die Initiative soll Bewusstsein um das Thema Flächenrecycling schaffen, Akteure vernetzen und einen Überblick über die vorhandenen gewerblichen Leerstände gewinnen, erklärt der zuständige Ministeriumsjurist Christian Janitsch: "Es geht um vorgenutzte gewerblich-industrielle Gebäude und Strukturen mit einer Mindestgröße von 2000 Quadratmetern. In großen Gemeinden wie Wels, Linz oder Traun liegen mehrere Hundert solcher Flächen und Standorte in den Schubladen, weil niemand den Durchblick hat, wo diese Brachflächen sind. Das ist ein erhebliches Potenzial."

In einer Studie des Umweltbundesamts aus dem Jahr 2004 wurde eine Größenordnung von rund 130 Quadratkilometern an derartigen Brachflächen ermittelt, was 3000 bis 6000 Standorten entspricht. Laut einer weiteren überschlägigen Einschätzung aus dem Jahr 2017 könnten es sogar bis zu 10.000 nicht genutzte Standorte sein. Vor allem in Oberösterreich und Niederösterreich gebe es großflächige Gewerbeagglomerationen, während die westlichen Bundesländer tendenziell weniger brachliegende Strukturen hätten, so Janitsch.

Fraunhofer-Institut analysiert Brachflächenpotenzial mit KI

Das deutsche Fraunhofer-Institut wurde nun mit einer Studie für genaue Zahlen beauftragt. Die Arbeitsgruppe für Supply Chain verwendet dabei auch künstliche Intelligenz. Die Software gleicht Satellitenbilder ab, verarbeitet die von den Kommunen und Ländern gemeldeten Standorte und soll erkennen, ob sich im Geobild etwas geändert hat - ob etwa irgendwo ein neuer Gebrauchtwagenhandel entstanden ist, wie es häufig auf Gewerbebrachen passiere, sagen Experten.

Aus der 500.000 Euro teuren Untersuchung soll am Ende eine öffentlich zugängliche Potenzialkarte im Internet entstehen, wo Brachflächen abrufbar sind. Beim letzten Brachflächen-Gipfel in Salzburg in der Tribüne Lehen Ende Oktober präsentierte der Fraunhofer-Experte Konrad Dürrbeck die ersten Zwischenergebnisse: Demnach konnten bislang rund 5700 Gewerbestandorte mit einer Fläche von über 1000 Quadratmetern identifiziert werden. Ein Endergebnis soll im kommenden Frühjahr vorliegen.

Kreative Nachnutzung belebt verlassene Bauten

Die Kunst ist es, die richtige Nachnutzung zu finden. Auf Eigentümerseite ist der Nutzungsdruck oft niedrig, mitunter wird spekuliert, oft passen die preislichen Vorstellungen des Besitzers mit einem möglichen Investor nicht zusammen, sagen Experten. Nicht jede Immobilie ist ein städtebaulicher Glücksfall wie die Salzburger Panzerhalle, die als historisch-militärischer Komplex architektonisch ansprechend ist. Oft haben es interessierte Bauträger und Projektentwickler mit flächigen, überdimensionierten Lagerhallen zu tun. Aber auch sie können, wie die Wiener Smartvoll Architekten am Handelszentrum 16 in Bergheim zeigen, mit neuem Leben gefüllt werden. Die Objekte sind laut Christian Janitsch "alte Lagerhäuser, Mühlen oder Betriebe, die zugesperrt haben. Auch leere Areale, wo früher was drauf war. Wir haben im Waldviertel viele verlassene Textilbetriebe, die liegen jetzt herum. Die sind in kleinen Orten, die Frage ist: Wer interessiert sich dafür?", bringt der Experte auf den Punkt, dass Kreativität und Innovation gefragt sind.

Gemeinden und Eigentümer motivieren

Die Brachflächen-Initiative (brachflaechen-dialog.at) stellt eine Reihe von bereits realisierten Projekten vor. So wurde aus einer ehemaligen Bettwarenfabrik im Süden von Wien der Gartenfachmarkt Ludwig Starkl; auf dem Gelände der Glaswarenfabrik Stölzle in Niederösterreich entsteht gerade ein Sonnenkraftwerk, das Strom für 1000 Haushalte erzeugt. In Oberhofen in Tirol, Bezirk Telfs, wurde ein denkmalgeschützter früherer Gast- und Bauernhof saniert und zum Gemeindeamt mit Freiluftkegelbahn und Kulturstadl umgebaut. Eine alte Seifenfabrik in Lauterach, Vorarlberg, ist nunmehr ein kommunales Mehrzweckgebäude. Der Ökopark Hartberg in der Steiermark entstand auf dem Areal des ehemaligen Ziegelwerks. Die Mitarbeit der Gemeinden und der Eigentümer sei von essenzieller Bedeutung, sagt Experte Janitsch: "Wir wünschen uns, dass die Gemeinden diese Flächen melden, manche finden das aber nicht sexy. Wir wollen auch die Besitzer motivieren, ob mit Förderungen, Fondslösungen oder sonstigen Modellen. Viele brauchen das Geld nicht oder sie sagen: Das interessiert uns nicht."