Hellgelblich-weiß sind die diversen Gegenstände, die Maren Gramitzky vor sich aufgebaut hat: einige Platten, eine Schüssel, eine Urne und ein Würfel mit knapp zehn Zentimetern Seitenlänge, aus dem ein paar getrocknete Pilze in verschiedenen Größen herauswachsen. Jedes dieser Materialien besteht aus Pilzmyzel, das auf Zellstofffasern gewachsen ist. Das unterirdische, nicht sichtbare Myzel ist nämlich der eigentliche Pilz - ein Netzwerk aus weißen Pilzfäden (Hyphen). Das, was wir oberirdisch sehen und gegebenenfalls verspeisen, ist der Fruchtkörper, der ausschließlich der Vermehrung dient.
Pilzmyzel erschließt nachhaltige Möglichkeiten
Pilzmyzel ist ein natürlicher, nachwachsender Rohstoff, er kommt in der Natur in großen Mengen vor. "Pilze bieten ein enormes Potenzial, um beispielsweise biologisch abbaubare Materialien zu entwickeln. Aber wir wissen noch viel zu wenig darüber, was ein Pilz alles kann", betont Maren Gramitzky. Die junge Frau, Absolventin des Studiengangs Holztechnologie und Holzbau an der FH Kuchl, forscht am Pilzmyzel und hat für ihre Masterarbeit "Dreidimensionale Formen aus Pilzmyzel" den Würdigungspreis des Wissenschaftsministeriums erhalten. Sie ist überzeugt, dass Pilze mit langfristiger Forschung noch etliche Geheimnisse preisgeben werden.
Myzel wächst ressourcenschonend heran
Bei der Herstellung als Baustoff wächst das Myzel auf pflanzlichen Fasern wie Holz oder Stroh. "Das zerkleinerte Material wird mit den Pilzsporen beimpft, darauf wächst das Myzel und zersetzt die Zellulose. Im Baustoff fungiert sein Geflecht, das es bildet, als Kleber, wie etwa diverse Bindemittel bei Spanplatten", erklärt die Forscherin. Die Masse ist formbar, beispielsweise zu Dämmplatten, aber auch Gefäße oder andere Formen sind denkbar. Hat der Pilz die Naturstoffe vollständig durchwachsen - also wenn alles weiß von den Hyphen geworden ist -, wird er durch Erhitzen abgetötet und das Material somit fest. "Den richtigen Zeitpunkt muss man natürlich kennen, weil das Ausgangsmaterial als Struktur gebraucht wird. Es darf noch nicht verrottet sein."
"Dafür muss kein Baum gefällt werden"
Die Vorteile liegen auf der Hand: Das Material ist vollkommen natürlich und komplett biologisch abbaubar. Am Ende seiner Lebensdauer kann es problemlos in den Kompost wandern. Als Produkt ist es regional, weil man es überall anbauen kann und daher keine langen Transportwege braucht. Der Pilz kann auf Reststoffen wachsen, wie sie etwa in der Landwirtschaft anfallen und sonst auf den Müll kommen würden. "Überdies muss dafür kein Baum gefällt werden", merkt die Forscherin an. Die Produktion ist überaus ressourcenschonend und benötigt wenig Energie in der Herstellung. "Es braucht nur die richtige Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit, damit der Pilz wachsen kann."
Maren Gramitzky arbeitet mit Speisepilzen - etwa mit Austernseitlingen -, denn es sollen ja keine Giftstoffe entstehen. "Manchmal passiert es tatsächlich, dass ich einen Pilz ernten kann, es handelt sich ja um ein Lebewesen", gibt sie mit Schmunzeln zu. Andererseits muss niemand, der sein Heim mit Pilzmyzelplatten dämmt, befürchten, dass plötzlich die Wände voll mit Schwammerln bewachsen sind. "Der Produktionsprozess stellt sicher, dass der Pilz nicht mehr lebt, wenn er verarbeitet wird."
Pilzmyzel minimiert CO2-Ausstoß
Hinsichtlich des ökologischen Fußabdrucks wirken Dämmplatten aus Pilzmyzel ebenfalls vorteilhaft. "Während der Pilz wächst wie etwa ein Baum und das Ausgangsmaterial zersetzt, speichert er CO₂, das auch im Material gebunden bleibt", betont Gramitzky. Für genaue Werte benötigt sie noch weitere Untersuchungen.
Mit ihrer Forschung hat die gebürtige Münchnerin bewiesen, dass myzelbasierte Produkte funktionieren. "In der Theorie, aber für die Marktfähigkeit ist noch viel Forschung nötig, vor allem Langzeitstudien brauchen wir", merkt sie an. Große Hoffnung setzt sie in ein Pilotprojekt, das derzeit in den USA läuft. Ein dortiges Unternehmen hat Myzel-Dämmplatten produziert und verbaut. "Ich arbeite seit 2019 mit dem Material, aber wir müssen erst sehen, wie es sich auf lange Sicht verhält." Sie rechnet mit etwa zehn Jahren, bis sich der Dämmstoff durchgesetzt hat. "Das ist realistisch." Dass Pilzmyzel als Baumaterial in der Zukunft gute Chancen hat, davon ist sie überzeugt.
Nicht nur an der FH Kuchl wird an diesem nachwachsenden, wiederverwertbaren und biologisch abbaubaren Material geforscht, sondern beispielsweise auch am deutschen Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik oder an der Donau-Universität Krems. "Aber nicht alle sind sehr freigiebig mit ihren Forschungsergebnissen und veröffentlichen sie", bedauert die Expertin.
Thermische Eigenschaften & hohe Dämmwerte
Gesichert sind jedenfalls die sehr guten thermischen Eigenschaften und der hohe Dämmwert, die durchaus mit herkömmlichen Dämmmaterialien mithalten können, hat Zuzana Zavodsky von der Donau-Universität Krems festgestellt. Sie hat sich ebenfalls mit dem Thema Pilzmyzel befasst und von FMA Austria (Netzwerk für Facility Management Österreich) dafür den Ausbildungspreis für ihre Abschlussarbeit "Konkurrenzfähigkeit von pilzmyzelbasierten Baustoffen. Potenzial des Pilzmyzels bei der Dekarbonisierung des Immobiliensektors" erhalten. Sie hat festgestellt, dass Dämmung aus Pilzmyzel eine hohe Brandwiderstandsklasse aufweist und dadurch dem Styropor überlegen ist. Überdies dämmen derartige Produkte auch akustisch, bis zu 75 Prozent des Lärms werden geschluckt. Für Zavodsky sind myzelbasierte Dämmstoffe daher ein klarer Gewinn für die Dekarbonisierung von Baustoffen.
Noch immer würden der CO₂-Fußabdruck der Baustoffe sowie die Energieeffizienz der Gebäude kaum oder viel zu wenig bei der Bewertung von Immobilien berücksichtigt. Für Zuzana Zavodsky wäre jedoch die Berücksichtigung dieser Werte sowie der Kreislauffähigkeit der eingesetzten Materialien ein wichtiger nächster Schritt, der auch in die Immobilienbewertung einfließen sollte. Immerhin ist die Bauwirtschaft von der Rohstoffgewinnung über die Bauphase bis hin zur Nutzung für einen erheblichen Anteil des Ressourcenverbrauchs und der CO₂-Emissionen verantwortlich. Mit der Verwendung von innovativen Baumaterialien, wie Dämmstoffen aus Pilzmyzel, ließen sich jedoch positive Effekte erzielen.