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Wie man Stress bei Kindern bekämpft: "Leistung ist höher bewertet als Entspannung und Ausgleich"

Schulstress. Corona. Pubertät. Getrennte Eltern. Dauerverlockung durch soziale Medien. Die Herausforderungen für Kinder und Jugendliche werden immer größer. Eine Expertin weiß Rat.

Schule ist für Kinder der größte Stressfaktor im Leben.
Schule ist für Kinder der größte Stressfaktor im Leben.

Belinda Plattner, Primaria der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Salzburg, gibt Tipps, wie Kinder und Jugendliche besser mit Stress umgehen können.

Was macht Kindheit und Jugend so herausfordernd? Belinda Plattner: Es gibt keine andere Lebensspanne, in der so viele Weichen gestellt werden und in der vergleichbar viele Entwicklungsschritte durchlaufen und Anpassungsleistungen gemeistert werden müssen. All dies stellt für Heranwachsende, aber auch für Familien und das System eine große Herausforderung dar. Veränderungen umfassen die biologische, kognitive und soziale Reifung. Selbstbild, Weltanschauung und Rolle in der Gesellschaft werden geprägt, hier bedarf es Unterstützung, Anleitung, Verständnis und Akzeptanz.

Gibt es rund um den nun überall erfolgten Schulstart besondere psychologische Herausforderungen? Definitiv, in der Soziologie und Jugendforschung besteht Konsens, dass die Schule für Kinder und Jugendliche der größte Stressfaktor ist. Natürlich gibt es individuelle Schwankungen und für manche Kinder und Jugendliche stehen andere Stressoren im Vordergrund.

Warum ist das so? Schule umfasst mehrere Aspekte, die mit Stress verbunden sein können: einerseits die Schule als sozialer Raum, andererseits die Schule als Leistungsindikator. Das ist kein neues Phänomen, Schule als Belastung wurde schon früh auch literarisch bearbeitet, etwa bei Thomas Bernhard oder in "Der Schüler Gerber" von Torberg. Glücklicherweise haben sich Kommunikation und Beziehungsgestaltung zwischen Kindern, Jugendlichen und Eltern im Vergleich zu früher deutlich verbessert und wir wissen heute in den meisten Fällen Bescheid, welche Sorgen unsere Kinder in der Schule bedrücken. Dennoch ist es nach wie vor schwierig, hier zu unterstützen. Denn eine Schwäche in einem Fach kann, und das zu Unrecht, das globale Gefühl vermitteln, zu versagen. Soziale Interaktionen, insbesondere im Jugendalter, können nicht immer von den Lehrkräften beeinflusst werden. Große Herausforderungen durch das Lernen, die Flut an Schularbeiten und Tests lassen ferner wenig Spielraum, um soziale Themen hinlänglich aufzugreifen.

Wie lässt sich gegensteuern? Es ist notwendig, Schule neu zu denken. Aber ich habe den Eindruck, dass viele engagierte und zugewandte Lehrer diesbezüglich bereits vieles aufgreifen und umsetzen. Wichtig, so denke ich, ist auch eine gute Schulgemeinschaft, ein Miteinander, das es Kindern, Lehrern und Eltern erlaubt, Schule als gemeinsamen Schaffens- und Gestaltungsraum wahrzunehmen.

Was können Skills sein, damit Kinder und Jugendliche Stress reduzieren und ihren Alltag besser meistern können? Skill ist ein Anglizismus für Fertigkeit. Viele Menschen nutzen Fertigkeiten, um mit dem Stress und der Herausforderung im Alltag besser umgehen zu können. Das können Hobbys wie kreatives Gestalten, Sport, Musik hören, soziale Kontakte usw. sein. Während im Kindesalter zumeist Entspannungsstrategien intuitiv angewendet werden, wie zum Beispiel malen, basteln, spielen, sich bewegen usw., so gehen diese im Übergang zum Schulalter, auch durch die Außenstrukturierung von Alltag und Lernanforderungen, verloren. Ab dem Schulalter müssten Zeiträume bewusst geschaffen werden, um stressreduzierenden und ausgleichenden Tätigkeiten nachzukommen. Hier liegt oft der Haken: Denn in unserer Gesellschaft wird Leistung deutlich höher bewertet als Entspannung und Ausgleich. Fertigkeiten gehen zusehends verloren und werden durch ein gehetztes Nebeneinander von verschiedenen Tätigkeiten ersetzt, sodass chronischer Stress erlebt wird. Skills-Training ist im weiteren Sinne eine Anleitung dazu, angenehmen und entspannenden Tätigkeiten erneut Raum zu schaffen, aber auch ein Angebot, um neue Skills kennenzulernen und in den Alltag zu integrieren.

Wie erwerbe ich Skills? Natürlich können Eltern und Lehrer hier helfen. Kinder und Jugendliche können nur anwenden, was sie selber auch erlebt haben. Ein breites Angebot an verschiedensten Tätigkeiten und Erfahrungen in der Kindheit kann später helfen, auf diese Erlebnisse zurückzugreifen und diese auszubauen. So kann etwa Vorlesen im Kindesalter das Interesse für Literatur ermöglichen oder Bewegung in der Natur diese als Kraftraum für später erlebbar machen. Wichtig ist nur, und darauf muss man in der Leistungsgesellschaft hinweisen, darauf zu achten, dass nicht aus außerschulischen und privaten Beschäftigungen unbemerkt ein neuer und zusätzlicher Stressor entsteht.

Warum müssen wir Stress überhaupt reduzieren? Schließlich gibt es ja auch den Eustress, also positiven Stress? Richtig, Stress kann auch gut sein. Etwa als Klasse gemeinsam eine Schulveranstaltung planen, kann anspruchsvoll, stärkend und lustig sein. Stress wird aber nur als positiv wahrgenommen, wenn er bewältigbar und im eigenen Vorstellungsrahmen endlich und zeitlich limitiert ist. Chronischer Dauerstress mit dem Gefühl des Nichtbewältigenkönnens ist langfristig niemals positiv. Chronischer Stress hat viele Folgen: von der Schwächung des Immunsystems, körperlichen Beschwerden, Ängsten, Schlafstörungen bis zu Depression und Selbstwertverlust mit letztlich Burn-out und Vermeidung. Und auch schon Kinder und Jugendliche können am Ausgebranntsein leiden. Das ist unbedingt zu vermeiden.

Veranstaltung im SN-Saal

"Skills im Kinder- und Jugendalter": Unter diesem Titel referiert Belinda Plattner, am Donnerstag, 14. September, um 19 Uhr im SN-Saal. Wer vor Ort dabei sein will, sollte sich auf www.sn.at/reservierung oder unter 0662 / 8373-222 anmelden.