ie im Jahrhundert der bürgerlichen Revolution ein wachsendes Selbst- und Standesbewusstsein sichtbar wird, lässt sich in diesem Sommer in der Residenzgalerie erkennen. Die Sonderausstellung - die letzte, bevor das Museum ab Herbst 2025 für den Bau von Besucherzentrum und Archäologie-Museum für etwa drei Jahre geschlossen wird - ist den Porträts des
19. Jahrhunderts gewidmet. Von der Revolution von März und Mai 1848, von den Kämpfenden auf Barrikaden in der Wiener Innenstadt, meuternden Arbeitern und martialisch einschreitender Nationalgarde, ist hier zwar nichts zu sehen. Doch wie sehr das Bürgertum dem Adel zu Leibe gerückt ist, zeigt ein Porträt eines sitzenden jungen Mannes. Der posiert in nonchalanter Haltung wie ein sich jovial gebender Aristokrat. Und gar: Er trägt gleich zwei Gilets übereinander - ein helles und ein blaues!
Das Gilet sei einst modisch wichtiges Teil gewesen, erläutert Kuratorin Astrid Ducke. Ein Herr habe ohne Weiteres 50 Gilets im Kleiderschrank gehabt. Und die Kunsthistorikerin Erika Oehring schildert im Katalog: Damit habe im Biedermeier ein Mann seinen Geschmack bewiesen. Mit zwei solchen Kleidungsstücken - einer cremefarbigen Weste und einem blauen Gilet mit Blümchenmotiv - habe er "einen farbigen Akzent zum dunklen Gehrock" gesetzt. Ebenso Eleganz und Status drücken der "Vatermörder"-Kragen mit dunkler Halsbinde, die Charivari genannte Uhrenkette, Fingerring und modische Koteletten aus.
Einer, der später einmal den Hass der marodierenden und revoltierenden Arbeiter auf sich gezogen haben könnte, ist auch in der Ausstellung präsent: der Papierfabrikant Ignaz Theodor Pachner von Eggenstorf, der sich von Johann Baptist von Lampi d. Ä. hat malen lassen. Die Entstehung des Bildes im Jahr 1801 deutet allerdings mehr auf die Französische als auf die bürgerliche Revolution hin. Und Ignaz Theodor Pachner hält seine Hand so unters Revers, als hätte er's von Napoleon abgeschaut. Auch eine Perücke gönnt er sich, wenngleich nicht füllig barock, sondern aufklärerisch dezent. Und er zeige auf das, was seinen Reichtum ausgemacht habe, erläutert Astrid Ducke: die Papiermühle Klein-Neusiedl an der Fischa südöstlich von Wien. Zehn Jahre nach Entstehung des Bildes lieferte diese Fabrik laut Katalog das Papier für sämtliche Banknoten der k. k. priv. Notenbank und sollte sich zum bedeutendsten Papierlieferanten der Habsburgermonarchie mausern.
Das Revolutionsjahr 1848 brachte auch die erste Frauendemonstration hervor. Laut Wien Geschichte Wiki zogen im August dieses Jahres gegen Lohnkürzungen protestierende Frauen durch Wien und besetzten Straßen und Plätze - so furios, dass die Nationalgarde eingriff. Freilich: Auch diese Unbill erscheint nicht in der schönen Sonderausstellung in der Residenzgalerie. Aber hier wird sichtbar, wie sich in diesem Jahrhundert der Revolution das Selbstbewusstsein der Frauen verändert hat - oder besser: in welchen Widerstreit das Selbstverständnis von Frauen gerät. Da ist zum einen das sittsame, in Seidenmieder eingeschnürte, blumenpflückende Mädchen mit streng frisiertem Haar, wie es ein Maler der Wiener Schule gemalt hat. Aber Kitty Baronin Rothschild ließ sich 1916 von John Quincy Adams anders darstellen: eine zielstrebig blickende Frau mit Kurzhaarschnitt und lässig fallendem Kleid. Drei Jahre nachdem dieses Bild gemalt worden war, wurde Frauen der Zugang zu Universitäten gestattet.
Fabelhaft ist auch der selbstbewusste, fast herablassende Blick, den Johann Baptist Reiter - er hat übrigens Wikipedia zufolge mit den 1848er-Revolutionären sympathisiert - seiner zweiten Ehefrau Anna Josefa mitgibt. Als sich der Maler 1853 in sie verliebte, war sie eine jüngere Näherin aus Brünn. Im Porträt trägt sie eine aparte Seidenmasche um den Hals, dazu farblich passende Ohrringe, weiters eine prächtige Stola, raffinierte Jacke und Spitzenbluse und ist doch eine schlichte Bürgersfrau.
Ausstellung: "Face to Face", Residenzgalerie im Domquartier, Salzburg, bis 29. September.
Podcast Jederspiele - Ein Blick hinter die Kulissen der Salzburger Festspiele
Schauspielerin Marie-Luise Stockinger über ihre Kindheit, ihre Rolle in "Die letzten Tage der Menschheit" und warum sie manchmal lieber offline statt online ist: