Ist Arbeiten im Alter ein Privileg oder eine Zumutung? Birgit Artner: Das kommt stark auf die individuelle Situation an. Entscheidend ist, in welcher Branche und Funktion man tätig ist: Körperlich fordernde Jobs sind im Alter oft schwieriger als geistige Tätigkeiten. Und natürlich ist nicht jeder 65-Jährige in der gleichen Verfassung. Für manche ist Weiterarbeiten ein Privileg, für andere Folter.
Wie behalten Unternehmen diese heterogenen Gruppen im Blick? Wichtig ist, nicht erst aktiv zu werden, wenn Mitarbeitende kurz vor der Pension stehen - dann ist es oft zu spät. Unternehmen sollten frühzeitig auf Gesundheit und Sicherheit achten und prüfen, welche alterskritischen Tätigkeiten es gibt: Wo wird etwa die Wirbelsäule oder das Sehvermögen stark beansprucht? Gibt es ergonomische Hilfsmittel oder Möglichkeiten zur Job-Rotation? Könnte jemand vom Außendienst in eine Mentorenrolle wechseln? Entscheidend ist, alterns- und altersgerechtes Arbeiten ganzheitlich und vorausschauend zu denken.
Worin genau besteht der Unterschied zwischen alterns- und altersgerechtem Arbeiten? Alternsgerechtes Arbeiten bedeutet, dass der Arbeitgeber schaut, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihr gesamtes Berufsleben hinweg gesund und sicher arbeiten können, etwa durch ergonomische Ausstattung oder Blaulichtfilter am PC für Menschen, die im Büro arbeiten, oder Hebehilfen in der Produktion. Altersgerechtes Arbeiten dagegen zielt auf die konkreten Bedürfnisse in bestimmten Lebensphasen ab: Ältere brauchen vielleicht mehr und längere Erholungsphasen. Jüngere brauchen eher Prävention, weil das Bewusstsein, dass irgendwann manches schwerer wird, noch nicht da ist. Es ist schwierig, jemandem mit 60 zu erklären, dass er eine Schnittschutzhose braucht, einen entsprechenden Gehörschutz braucht, wie man Schweres richtig hebt. Wenn ich von vornherein das Bewusstsein schaffe, dass solche Maßnahmen Sinn ergeben, entsteht da überhaupt keine Diskussion. Dann ernte ich als Arbeitgeber in 20, 30 Jahren, was ich gesät habe.
Welche Veränderungen körperlicher und kognitiver Natur beeinflussen die Arbeitsfähigkeit am stärksten? Was das Kognitive betrifft, brauchen viele mit dem Alter mehr Struktur und Zeit - etwa beim Erlernen neuer Programme. Das muss man wissen, wenn es etwa um Schulungen geht. Körperlich können sich Beweglichkeit und Belastbarkeit verändern.
Altersgerechtes Arbeiten betrifft nicht nur körperlich fordernde Berufe. Genau, die Psyche wird oft vergessen. Wenn Arbeitsbedingungen überfordern, das Pensum zu hoch ist oder Wertschätzung fehlt, kann das zu einer Gratifikationskrise führen - mit innerer Kündigung als Folge. Das betrifft nicht nur handwerkliche Berufe, sondern etwa auch die Psychologin. Zeit- und Termindruck sind mit dem Alter schwerer zu bewältigen. Wichtig sind deshalb gezielte Erholungsphasen nach stressigen Zeiten.
Welche Maßnahmen gibt es, um die Arbeitsfähigkeit von älteren Mitarbeitern zu erhalten? Zum Beispiel eine sechste Urlaubswoche, längere Urlaube am Stück, flexible Arbeitszeiten oder Schichtmodelle mit ausreichend Erholungsphasen, besonders nach Nachtdiensten. Je nach Branche sollte das bereitgestellt werden, was gutes Arbeiten ermöglicht. Außendienstmitarbeiter etwa berichten häufig, dass lange Fahrten anstrengender werden. Da können vibrationsgedämpfte Fahrersessel helfen. Und: Es braucht Verständnis statt Ausgrenzung - niemand sollte das Gefühl haben, er gehöre zum alten Eisen und werde demnächst ausrangiert.
Der Übergang in die Pension kann für manche schwierig sein. Wie kann der Betrieb da unterstützen? Der Übergang in die Pension zählt zu den kritischen Lebensereignissen und ist an sich schon eine Herausforderung. Dann kommt noch hinzu, dass sich nicht jeder darauf freut, vor allem Menschen, die sich stark mit ihrer Arbeit identifizieren. Oft unterschätzt wird auch, wie viel eine wertschätzende Verabschiedung bewirken kann - ein Dank, eine kleine Feier, ein Zeichen der Anerkennung. Das fehlt leider manchmal und tut den Menschen weh, die dem Arbeitgeber gegenüber oft jahrzehntelang loyal waren. Beim Abschiednehmen können auch Mentoring- oder Buddy-Programme helfen: Wenn ich mein Wissen an Junge weitergebe und das Gefühl habe, das eigene Werk in gute Hände zu übergeben, tue ich mir leichter. Unternehmen haben auch erkannt, dass langgediente Mitarbeiter einen enormen Wissens- und Erfahrungsschatz haben, der verloren geht, wenn man ihn nicht rechtzeitig abschöpft.
Wie gelingt der Wissenstransfer zu jüngeren Generationen am besten? Beispielsweise durch ebendiese erwähnten Mentoring- oder Buddy-Programme, bei denen junge Mitarbeitende erfahrene Kolleginnen und Kollegen an die Seite gestellt bekommen. So kann Wissen, das über Jahrzehnte aufgebaut wurde, gezielt weitergegeben werden. Gerade bei Erfahrungswissen - etwa im Umgang mit Maschinen oder in der Kundenbetreuung - braucht es das. Wichtig ist, dass frühzeitig geplant wird - nicht erst kurz vor der Pensionierung. 30 Jahre Berufserfahrung lassen sich nicht in drei Monaten weitergeben.
Wo, glauben Sie, besteht in den kommenden Jahren der größte Handlungsbedarf, wenn es um alternsgerechtes Arbeiten geht? Zum einen müssen wir schauen, dass Menschen länger im Arbeitsprozess bleiben - auch aus wirtschaftlichen Gründen. In vielen Bereichen kommen schlicht nicht immer ausreichend junge Fachkräfte nach. Das heißt, dass es auch deshalb wichtiger wird, Leute lange oder länger im Arbeitsprozess zu halten, weil sonst einfach zu wenig Personal da ist. Die Anhebung des Pensionsantrittsalters schwebt ja schon seit Jahren wie ein Damoklesschwert über uns. Doch damit das funktionieren kann, müssen heute schon die Rahmenbedingungen stimmen. Es reicht nicht, einzelne Maßnahmen für Ältere zu setzen. Vielmehr braucht es den Blick aufs große Ganze: Wer mit 25 ins Berufsleben startet, sollte die Chance haben, bis 67 gesund und gut arbeiten zu können - und auch danach noch etwas vom Leben haben.