SN.AT / Leben / Karriere

Der verkannte Umbruch: Unternehmen verpassen KI-Chancen

Viele Unternehmen reagieren zu langsam, wenn es um künstliche Intelligenz geht, weil sie diese als IT-Thema oder Zukunftsmusik sehen. Interim-Manager Eckhart Hilgenstock warnt: Wer jetzt nicht handelt, wird abgehängt.

Unternehmen müssen auf KI reagieren.
Unternehmen müssen auf KI reagieren.

Eckhart Hilgenstock zählt zu den meistgefragten Interim-Managern in Deutschland. Regelmäßig wird er von Unternehmen ins Haus geholt, um den Einsatz künstlicher Intelligenz voranzutreiben. Er ist überzeugt: "Wir stehen am Beginn eines neuen KI-Zeitalters, das in seiner Dimension noch völlig unterschätzt wird." Aus zahlreichen Projekten weiß er: Der Umgang vieler Unternehmen mit KI sei von Unsicherheit und Verzögerung geprägt. In den Führungsetagen herrsche oft nur eine vage Vorstellung davon, dass KI "irgendwann wichtig" sein könnte, für die Zukunft des Unternehmens ebenso wie für die eigene Karriere. Doch statt konkreter Strategien dominiere die passive Beobachtung, so der Interim-Manager.

KI kann Geschäftsmodelle grundlegend verändern

Berät zu KI: Eckhart Hilgenstock.
Berät zu KI: Eckhart Hilgenstock.

"Die Potenziale generativer KI - etwa zur Text-, Bild- und Videoerstellung - werden zwar erkannt, doch die umfassenderen Möglichkeiten intelligenter Systeme bleiben oft unbeachtet", weiß Hilgenstock. "KI wird primär als Instrument zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung betrachtet. Dass sie ganze Geschäftsmodelle verändern kann, wird selten erkannt."

Manager unterschätzen Herausforderungen der KI-Revolution

Für viele Manager sei KI nämlich nur eines von aktuell vielen Problemfeldern - neben Fachkräftemangel, Lieferkettenengpässen und wachsendem Regulierungsdruck. Deshalb lande das Thema häufig auf der Prioritätenliste ganz unten, obwohl der technologische Wandel rasant voranschreitet. Besonders unterschätzt werde der kulturelle Wandel: KI verändert nicht nur Prozesse, sondern auch Rollenbilder, Machtverhältnisse und Entscheidungswege. Ohne aktives Change-Management scheitern viele Projekte. Nicht an der Technik, sondern am Menschen. Hilgenstock warnt: "Während öffentliche KI-Debatten oft um ethische Fragen und gesellschaftliche Risiken kreisen, bahnt sich in der Wirtschaft eine KI-Revolution mit weitreichenden Folgen für Unternehmensführung, Arbeitsorganisation und strategische Entscheidungsprozesse an."

So lautet eine Prognose der internationalen Strategieberatung McKinsey, dass generative KI allein in den USA einen jährlichen Produktivitätszuwachs von bis zu 4,4 Billionen US-Dollar ermöglichen könnte - das entspricht in etwa dem Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Laut einer weiteren Studie der Beratungsfirma Precedence Research lag das globale Marktvolumen für künstliche Intelligenz im Jahr 2024 bei rund 450 Milliarden US-Dollar. Bereits 2032 könnte es nach Einschätzung der Expertinnen und Experten auf mehr als zwei Billionen US-Dollar anwachsen. Das wäre eine Verfünffachung des Betrags innerhalb von nur wenigen Jahren.

Hilgenstock verdeutlicht: "Es genügt in jeder Branche im Grunde ein einziger globaler Anbieter, der sich durch intensive KI-Nutzung massive Wettbewerbsvorteile verschafft, um alle anderen Marktbeteiligten binnen kürzester Zeit in Schwierigkeiten zu bringen. Denn KI verändert die Spielregeln. Prozesse, die früher Personal, Erfahrung und Zeit erforderten, werden durch maschinelle Systeme in Echtzeit optimiert." Er nennt beispielhaft Business Development, Personalplanung, Kundenservice, das Supply-Chain-Management und strategische Marktanalysen - Felder, in denen KI bereits heute entscheidende Fortschritte ermöglicht.

KI revolutioniert Vertriebsstrategien effektiv

Der Interim-Manager weiß aus Projekten: "In der Regel sind die Beschäftigten begeistert, wenn sie erleben, wie KI ihren Job zum Positiven verändert. KI-gestützte Vertriebsmodelle bringen schnelle Erfolge, Mehrsprachigkeit ist auf einmal kein Problem mehr, Planspiele lassen sich auf Knopfdruck durchführen - die Liste der KI-Potenziale ist sehr lang."

Eine Studie zeigt KI-Wissenslücke bei Führungskräften

Als zentrale Innovationsbremse sieht der Top-Manager 2025 den Mangel an KI-kompetenter Führung. Laut einer Studie der Boston Consulting Group vom Jahresanfang verfügten nur 18 Prozent der befragten Führungskräfte in europäischen Unternehmen über grundlegendes Verständnis für den praktischen KI-Einsatz.

Hilgenstock erklärt: "KI führt zu fundamentalen Verschiebungen im Führungskonzept mit einem Kontrollverlust auf Topebene. In klassischen Strukturen werden Entscheidungen top-down getroffen, weil die Führungsebene den vermeintlich besseren Überblick hat. Aber KI-Systeme liefern Echtzeitanalysen, die Entscheidungen datenbasiert und dezentral unterstützen. Das läuft oftmals auf Evidenz versus Erfahrung und Intuition hinaus - und in vielen Fällen gewinnt die KI. In vielen Führungsetagen herrscht Ratlosigkeit, wie mit diesem Kontrollverlust umzugehen ist. In anderen ist das Bewusstsein für diese Fragestellung noch gar nicht angekommen."