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Tabuthema Penis: Wenig beeinflusst männliches Selbstgefühl stärker - und das seit Jahrtausenden

Der Penis ist für viele Männer ein Aushängeschild. Doch wehe, das Genital ist nicht groß genug, dann wird aus Stärke schnell Schwäche - und der Mann leidet still vor sich hin. Blick auf ein absolutes Tabu-Thema.

Das Größenthema beschäftigt die Männerwelt seit Jahrtausenden. Aber nicht immer in derselben Weise.
Das Größenthema beschäftigt die Männerwelt seit Jahrtausenden. Aber nicht immer in derselben Weise.

Die Männer, die in die Psychotherapiepraxis von Markus Hahn in Wien kommen, haben oft einen großen Leidensdruck. Sie werden verfolgt von der Angst, im Bett zu versagen, kämpfen mit Schamgefühlen, manche sind pornosüchtig. Häufig sind es junge Männer, die Rat suchen - und in den Gesprächen geht es dann meist auch um das Geschlechtsorgan des Mannes. "Der Penis spielt da eine große Rolle - die häufigste sexuelle Störung, die Männer in die Sexualtherapie bringt, ist ja die Erektionsstörung", sagt Hahn.

Der Penis - das ist nicht irgendein Organ. Es ist ein Körperteil, der für den Mann von eminenter Bedeutung ist. Nicht umsonst wimmelt es nur so von Ratgebern. "Endlich wieder Mann sein", "Die Potenz-Formel", "Power Penis" - schon die Buchtitel machen klar, worum sich alles dreht: um Leistung. Der Mann und sein Genital müssen funktionieren. "Wenn bei Frauen die Erregung ausbleibt, können sie das eher verstecken", sagt Hahn. "Wenn bei Männern die Erregung ausbleibt, ist es für den Mann gefühlt erst einmal vorbei. Auch deshalb gibt es so einen hohen Anspruch an den Penis, dass er funktioniert." Abgesehen davon sei der Penis für den Mann eine Art "Frühwarnsystem". Denn: "Erektionsstörungen zum Beispiel sind nicht nur Indiz von Problemen mit der eigenen Sexualität, sondern können ein Hinweis auf beginnende Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein oder auch ein Verweis auf Störungen in der Paarbeziehung."

Pornografie erzeugt bei vielen Männern Stress

Das "Funktionieren" ist das eine. Das andere ist die männliche Sehnsucht nach Größe. Männer bauen nicht nur immer höhere Wolkenkratzer, prahlen nicht nur mit immer PS-stärkeren SUVs oder, wie einst Donald Trump und Kim Jong-un, mit ihren großen Atomwaffenknöpfen. Größe ist dem Mann auch bei seinem Geschlechtsteil wichtig. Die meisten Männer glauben tatsächlich, dass ihr Glied länger sein sollte. Eine Erwartungshaltung, die Experten auf den ausgiebigen Pornografie-Konsum zurückführen. Die überdurchschnittlich großen Geschlechtsteile, die in Porno-Videos gezeigt werden, haben mit der Realität der meisten Männer zwar nicht viel zu tun - schließlich hat der Normalo-Penis im nicht erigierten Zustand eine Durchschnittslänge von überschaubaren neun Zentimetern. Dennoch entfalten die via Handy heute jederzeit verfügbaren Pornos eine große Wirkungsmacht. "Die pornografischen Bilder prägen das sexuelle Verständnis und Selbstverständnis auf eine problematische und realitätsferne Weise", sagt Hahn. Deshalb würden heute schon 18-Jährige Rat in der Psychotherapiepraxis suchen: "Diese jungen Männer haben im virtuellen Raum schon alles gesehen, was es gibt. Aber im echten Leben führt dies leider nicht zu mehr, sondern zu weniger erfüllenden Partnerschaften und sexuellen Beziehungen."

Nicht alle begnügen sich mit dem Gang zum Urologen oder zum Psychotherapeuten. Gar nicht wenige legen sich unters Messer - in Ordinationen wie jener von Franklin Kuehhas in Wien, der sich auf Behandlungen und Operationen im Bereich des männlichen Genitals spezialisiert hat, wie Penisvergrößerungen oder die Korrektur von Penisverkrümmungen. "Ein Penis, der Probleme bereitet, kann einen Mann in seinen Grundfesten erschüttern", sagt Kuehhas. Die Männer würden darunter oft sehr leiden. "Wenn Sie nicht zufrieden sind mit der Form des Penis, mit der Größe oder der Ausdauer bei der Penetration, hat das einen negativen Effekt auf das psychosexuelle Wohlbefinden."

Woher kommt das Riesentrara um das männliche Genital?

Dass um den Penis ein Riesentrara gemacht wird, ist nicht neu. Insbesondere in der erigierten Variante wird das Glied seit Jahrtausenden verehrt, vor allem als Symbol der Stärke und der Fruchtbarkeit. Schon auf Steinzeitreliefs findet man Darstellungen von Männern mit erigierten Gliedern. In der griechischen Mythologie sind es dann vor allem Götterbote Hermes und Dionysos, der Gott des Weines und der Ekstase, die mit Phallus dargestellt werden - ebenso wie Fruchtbarkeitsgott Priapos. Auf den Götterboten gehen auch die Hermen zurück, Steinhaufen bzw. Steinpfeiler mit dem Kopf des Hermes und einem Phallus, die an Wegkreuzungen oder Grundstücksgrenzen aufgestellt wurden.

Im alten Rom gehörten Sex-Symbole in Form von Skulpturen zum Straßenbild. Und der männliche Römer hatte beim Sex eine aktive Rolle einzunehmen. Wer als Mann passiv war, "hat sich dem Primat des Phallos entzogen und damit jede Virilität verloren", schreibt der Althistoriker Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer in seinem Buch "Im Zeichen des Phallus" über "die Ordnung des Geschlechtslebens im antiken Rom" (Campus-Verlag). Und schwaches, dienendes, sklavisches Verhalten beim Sex war so ziemlich das Schlimmste, was einem Römer unterstellt werden konnte.

Michelangelos David hat nur kleine Genitalien

Dem anderen mangelnde sexuelle Kraft vorzuwerfen war auch ein beliebtes rhetorisches Kampfmittel bei den streitlustigen Römern. "Schwuchtel Thallus", heißt es etwa in einem Schmäh-Gedicht des Dichters Catull, "weicher als Kaninchenfell oder als zartes Gänsemark oder als ein Ohrläppchen oder als der schlaffe Schwanz eines Greises ..." Doch nicht nur mit Worten konnte man den Gegner demütigen, sondern auch mit dem Mittelfinger - der Stinkefinger stand in der Antike symbolhaft zugleich für den Phallus und eine mächtige Waffe, quasi ein Schwert, das jederzeit eingesetzt werden konnte. Die Bedeutung des Penis für den Mann lässt sich auch aus der Praxis der Hexenverfolgungen in Mittelalter und Früher Neuzeit ablesen. Damals glaubte man, Hexen würden Männern ihre Penisse rauben und sie auf diese Weise impotent machen, wie im 1486 veröffentlichten "Hexenhammer" des Dominikaners und Inquisitors Heinrich Kramer nachzulesen ist.

Was heute anders ist als früher, ist die bevorzugte Penisgröße. Über viele Jahrhunderte war ein kleiner, bescheidener Penis das Idealbild. Michelangelos David hat zwar einen makellosen, muskulösen Körper, sein Glied dagegen wirkt deutlich zu klein. Der Grund: Ein langer Penis wurde früher mit Dummheit, Lüsternheit, mangelnder Selbstbeherrschung assoziiert, während ein Mann mit einem kleineren Penis als tugendhaft, beherrscht und rational erschien.

Symbol der Stärke und Fruchtbarkeit

Überdimensional groß begegnet das männliche Genital dagegen immer dann, wenn es um Natur und Fruchtbarkeit geht. Noch heute wird in manchen Kulturen der Phallus gefeiert. In Japan bitten Gläubige beim Hōnen-Fest die Götter mittels Riesen-Penis um ein fruchtbares Jahr. Auch im Königreich Bhutan sind Phallus-Symbole verbreitet, an Hauswänden ebenso wie auf Autos. Der Phallus ist dort ein Symbol für Glück - und er schützt vor bösen Geistern.

Der erigierte Penis sei nun einmal "Sinnbild und Maßstab des Männlichen", schrieb der Psychologe Eugene Monick in seinem Buch "Die Wurzeln der Männlichkeit. Der Phallus in Psychologie und Mythologie" (Kösel-Verlag). "Alle Vorstellungen, die die Männlichkeit definieren, haben den Phallus als Bezugspunkt."

Instinktiv scheinen so gut wie alle Männer ihrem Glied eine besondere Bedeutung beizumessen - als einem ganz speziellen Organ, bei dem auch das Aussehen stimmen muss. Viele Männer hätten Probleme mit dem Selbstvertrauen, weil ihnen ihr Penis zu klein erscheine, sagt Kuehhas. "Deshalb gehen sie nicht gern in die Sauna und duschen nach dem Fitnessstudio lieber zu Hause. Fast 40 Prozent meiner Patienten kommen wegen Vergrößerungs- oder Optimierungsgeschichten am Penis."

Der Selbstwert sei für alle Menschen wichtig, sagt auch Markus Hahn. Angesichts der teilweise "absurden Darstellung und Inszenierung von Körperlichkeit und Sexualität im Internet" sei es für junge Menschen heute jedoch schwierig, "zu einem guten Körpergefühl zu kommen" und eine gesunde Haltung zu finden nach dem Motto: "Ich bin richtig, so wie ich bin."

Die meisten Männer müssen sich keine Sorgen machen

Dabei müssten sich die allermeisten Männer gar keine Sorgen machen - zumindest was die Größenverhältnisse betrifft. Denn die stimmen normalerweise. Dass jemand einen Mikropenis im medizinischen Sinn hat, also ein Glied, das im erigierten Zustand maximal sieben Zentimeter misst, kommt sehr selten vor. Und es gibt noch einen Grund, warum sich die Herren der Schöpfung entspannt zurücklehnen können. Denn der Stress um die Länge ist unnötig: Wie man aus Studien weiß, wollen Frauen keine besonders großen Penisse. Viel wichtiger ist ihnen ein gepflegter Gesamteindruck des männlichen Gemächts.