Sanieren auf die nächste Stufe heben
Es wird zu wenig saniert, um die Klimaziele zu erreichen. Architekten, Immobilieneigentümer und Baufirmen testen jetzt neue Wege.

Die Bauwirtschaft kämpft aktuell mit dramatischen Einbrüchen ihrer Aufträge. An Arbeit würde es eigentlich nicht mangeln, weder in Europa noch in Österreich. Um bis 2050 bzw. 2040 den CO₂-Ausstoß auf null zu senken, müssten 75 Prozent aller Gebäude saniert werden. "Vielen ist nicht klar, dass der Bausektor der größte Hebel ist", sagte Volker Schaffler, Leiter der Abteilung Energie und Umwelttechnik im Klimaministerium, am Dienstag in Graz beim ersten Renowave-Kongress. Die einschlägige Forschungsinitiative, die das Ministerium mit 50 Prozent fördert, soll die Branche auf die notwendige Renovierungswelle vorbereiten. "Ein schlafender Riese, der noch nicht aufgewacht ist", so Schaffler.
Warum Neubau über Renovierung? Markus Zilker klärt auf
Markus Zilker, einer der Gründer des Wiener Architekturbüros einsundeins, hat eine Erklärung dafür, warum aller Logik zum Trotz lieber neu gebaut als renoviert und ertüchtigt wird: "Wir haben ein System geschaffen, in dem alles einer ,renowave' entgegensteht", sagte der Pionier auf dem Gebiet des ökologischen Bauens zu den SN. Vom Umgang mit Rohstoffen über existierende oder fehlende Gesetze, Fachkräftemangel, steigende Ansprüche bis zur aktuellen Zinsentwicklung und dem generellen Sicher-ist-sicher-Denken. "Wir haben das große Ganze aus den Augen verloren", warnte der Architekt. Seine Branche habe aber den Vorteil, dass sie einen Unterschied machen und einen positiven Beitrag zur Zukunft leisten könne.
Nachhaltige Architektur: Einsundeins entwickelt Strategie
Das Architekturbüro hat etwa in den vergangenen Monaten gemeinsam mit einem gemeinnützigen Wohnbauträger eine Strategie für dessen Bestand - immerhin 14.000 Wohnungen - erarbeitet. Parallel dazu läuft ein Forschungsprojekt für die Sanierung einer Arbeitersiedlung. "Klimaneutral heißt mehr, als nur die CO₂-Bilanz zu verbessern", ist Zilker überzeugt. Der Energieverbrauch mache über den Lebenszyklus eines Gebäudes nur die Hälfte der Emissionen aus. Werde dieser Aspekt nicht mitgedacht, "geht die Rechnung immer für den Neubau aus", obwohl die Treibhausgasbilanz schlechter sei.
Die Rolle von Gemeinnützigen Bauträgern
Inge Strassl vom Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen, das solche Prozesse und Entscheidungen moderiert und begleitet, kennt durchaus Situationen, in denen ein Abriss vorzuziehen ist. Nicht nur weil eine großräumige Renovierung den Mietern viel abverlangt oder sie überhaupt abgesiedelt werden, sondern auch wegen geänderter Wohn- und Raumbedürfnisse. Jedenfalls sollte bei Renovierungen oder der Nachverdichtung von Wohnanlagen immer "ins Quartier" geschaut werden und die Infrastruktur bzw. das Mobilitätsverhalten mitgedacht werden. "Es wäre gut, wenn gemeinnützige Bauträger mehr mit den Kommunen arbeiten würden", betonte Strassl. Die thermische Sanierung allein reiche nicht.
Revolutionäre Sanierungstechnologien
Hubert Rhomberg sieht das anders. Bei besonders geeigneten Mehrfamilienhäusern könnte bei einer richtigen thermischen Sanierung samt Umstellung auf erneuerbare Energie der Verbrauch um 95 Prozent gesenkt werden. Der Chef des gleichnamigen Vorarlberger Bau- und Bahntechnikunternehmens hat im Vorjahr ein eigenes Unternehmen gegründet, das serielle Sanierungen anbietet. "Wir brauchen eine andere Art der Umsetzung: digital, schnell, vorgefertigt", argumentierte er in Graz. Die Frage sei, wie ein Prozess aussehen müsse, damit nicht jedes Projekt neu beginnt. Rhombergs Renowate wird in diesem Jahr in Deutschland 230 Wohnungen saniert haben - mit perfekter digitaler Planung, Wärmepumpen unter dem Dach und einer neuen Gebäudehülle mit vorgefrästen Holz-Fassadenplatten. Nächstes Jahr stehen 500 auf dem Plan, vorausgesetzt, die Finanzierung hält trotz Zinsanstieg. Ein erstes Projekt läuft auch in Wien. Weil die Mieter im Haus bleiben, biete Renowate ein Portal an, das die Mieter über den Ablauf informiert, sagte Rhomberg. "Jeder weiß, wann welcher Lkw kommt und wie der Arbeitsplan ist." Fast jede Form der schwierigen Kommunikation sei möglich, was viele Telefonate spare.
Innovation in der Bauindustrie
Ähnlich systematisch geht das deutsche Start-up Ecoworks Sanierungen an. Bei einem Markt von 750 Mrd. Euro in Europa müsste die Sanierungsindustrie drei Mal so groß sein, um die Ziele zu erreichen, sagte Gründer Emanuel Heisenberg. Die spezialisierten Teams von Ecoworks schafften die Montage der Gebäudehülle mittlerweile auf bis zu fünf Stockwerke ohne Gerüst, nur mit Kränen, und im Durchschnitt in fünf Wochen.