"Menschen in anhaltender Einsamkeit brauchen ein Netzwerk"
Katrin Weber
Plattform gegen Einsamkeit
Die Rückmeldungen auf der Plaudernetz-Website bestätigen Michaels Erfahrungsbericht. "Ich werde immer wieder anrufen, weil es mir guttut, Dinge laut im Gespräch mit einer anderen Person aussprechen zu können", gibt die 72-jährige Dietlinde als Feedback. "Man braucht, wenn man so viel allein ist, Ansprechpartner", sagt Anrufer Martin; und Anruferin Liese bringt ihre positive Erfahrung, wenn jemand abhebt und zuhört, so auf den Punkt: "Es tut einfach der Seele gut, wenn man mit einem anderen Menschen reden kann." Rund 600.000 Menschen in Österreich fühlen sich laut einer aktuellen Studie der Caritas mehr als die Hälfte ihrer Zeit einsam. Zur besseren Einordnung dieser Zahl: Das sind um 40.000 mehr als die Einwohnerinnen und Einwohner des Bundeslands Salzburg.
Einsamkeit überwinden: Gemeinschaft fördern
"Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch", lauten berühmte Hölderlin-Verse. Die sozialen Isolationsmaßnahmen während der Coronapandemie haben das Thema Einsamkeit und die negativen psychischen und physischen Folgen in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit und ins öffentliche Bewusstsein besonders bei jungen Menschen gerückt, sagt Katrin Weber. Das zeige sich vor allem daran, dass Sport-, Freizeit-, Kulturvereine oder andere Gruppen seit der Pandemie auch die Aspekte Gemeinschaft und soziales Miteinander als einen Zusatznutzen ihrer Treffen betonen. "Wir beobachten, dass in Angeboten, die eigentlich zum Beispiel Sport oder Kochen im Zentrum ihres Zusammenseins haben, das Thema auch angesprochen wird und man die Leute motiviert, tiefer gehende Kontakte zu knüpfen."
Weber ist Projektleiterin der "Plattform gegen Einsamkeit", die als Anlauf- und Kompetenzstelle sowohl für Betroffene als auch Beratungs- und Hilfsorganisationen eine Vielzahl an Informationen und Ressourcen zur Vernetzung anbietet. "Viele Personen, die an Einsamkeit leiden, wissen gar nicht, welche Angebote es gibt", fasst Weber den Zweck der Plattform zusammen, "und gleichzeitig verdienen in unseren Augen die vielen Menschen Anerkennung und eine Bühne, die sich in diesem Bereich, meist unentgeltlich, engagieren."
Plattform bietet Hilfe gegen Einsamkeit
Auf der Website www.plattform-gegen-einsamkeit.at können am Thema Interessierte selbst Initiativen oder Angebote gegen Einsamkeit finden, oder die Plattform trifft nach einem Erstgespräch eine Vorauswahl und übermittelt eine Liste an Möglichkeiten in der jeweiligen Region. Das Spektrum an Angeboten ist groß: Es reicht von Hotlines, wie dem Plaudernetz, über Wohngemeinschaften, Gruppenaktivitäten genauso wie auf Einzelpersonen angepasste Programme bis hin zu Fortbildungsangeboten für in diesem Bereich Engagierte aus der Zivilgesellschaft. "Das spiegelt einfach eine große Bandbreite wider", sagt Weber, "und da muss nicht immer Einsamkeit draufstehen, damit das Thema drinnen ist."
Je nach Zielgruppe könne es sogar wichtig sein, dass das Wort Einsamkeit gerade nicht explizit im Titel der jeweiligen Veranstaltung vorkommt, sagt Weber und gibt ein Beispiel: "Bei den Jungen ist zwar das Wort Einsamkeit ein komplettes Tabu, aber nicht das dahinterstehende Konzept - deswegen versuchen wir diese Altersgruppe über die Schiene mentale Gesundheit mitzunehmen." Die englische Sprache eröffnet auch Möglichkeiten, um gemeinsame Spaziergänge beispielsweise als "Vienna Girls Walk" auszuschildern und so für das junge Publikum attraktiver zu machen. In Kooperation mit einem Ticketvertrieb richtet die Plattform sogenannte "Social Corner" ein, um Leuten, die allein zu Konzerten oder Veranstaltungen kommen, Gelegenheiten zum Andocken und für gegenseitigen Austausch zu bieten. "Wir arbeiten für ein gesünderes Österreich", lautet das Plattform-Motto, wobei Weber betont, dass "Einsamkeit per se keine Krankheit ist". Aber Einsamkeit erhöhe das Risiko, psychisch wie physisch krank zu werden, sagt sie. Genauso wie bestimmte Lebenseinschnitte das Risiko für Einsamkeit und soziale Isolation erhöhen. Das können unterschiedliche Ereignisse sein: Ein Umzug oder Migration, aber auch Elternschaft kann Einsamkeit auslösen - oder der Verlust der Arbeit oder der Partnerin, des Partners oder auch ein Pensionsantritt.
Einsamkeitsforschung untersucht soziale Isolation
Kurzfristige Einsamkeit sei wie Hunger oder Durst, die man beide selbst sehr rasch und einfach wieder stillen kann, zieht Katrin Weber eine Trennlinie, die auch in der Einsamkeitsforschung gezogen wird. Aus einer anhaltenden Einsamkeit jedoch, die oft in Kombination mit sozialer Isolation einhergehe, in der die davon Betroffenen objektiv keine Beziehungen mehr haben, komme man in den wenigsten Fällen ohne professionelle Hilfestellung wieder heraus, weiß sie aus Erfahrung. Hier setzen die Plattform gegen Einsamkeit und ihre Partnerorganisationen in ganz Österreich an, sagt Weber: "Diese Menschen mit Einsamkeitserfahrungen über eine lange Zeit brauchen ein Netzwerk, das ihr fehlendes Netzwerk ausgleicht und das wir ihnen anbieten."