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Stress durch Achtsamkeit reduzieren: So hilft MBSR bei Depressionen und Burn-out

Hektik, Stress und negative Gefühle können manches Mal überhandnehmen. Wie es gelingt, sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren und sich nach und nach entspannter zu fühlen.

Ein Spaziergang durch das Herbstlaub eignet sich wunderbar, um die Methode der Achtsamkeit zu erproben.
Ein Spaziergang durch das Herbstlaub eignet sich wunderbar, um die Methode der Achtsamkeit zu erproben.

Manchmal erscheint es einem, als ob die Wochen und Monate nur so davonflögen. Gerade war noch Frühling, plötzlich ist der Sommer schon da, und bevor man sichs versieht, ist er in den Herbst übergegangen. Gleichzeitig leiden immer mehr Menschen unter psychischen Problemen wie Depressionen und Burn-out. Die achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (auf Englisch mindfulness-based stress reduction, kurz MBSR) soll dabei helfen, die aktuelle Situation und die innere Reaktion darauf bewusster wahrzunehmen und so psychische wie auch physische Probleme zu mildern. MBSR-Trainerin Karin Würth berichtet.

Was bedeutet Achtsamkeit genau? Karin Würth: Es geht darum, ganz im Hier und Jetzt zu sein, sich bewusst zu sein, was jetzt in diesem Moment da ist. Dabei ist das innere Erleben wichtiger als das Außen. Sich dessen bewusst zu sein, was man gerade denkt, fühlt und im Körper spürt. Achtsamkeit ist also das Gegenteil von Automatismen, die unbewusst passieren. Wenn ich im Auto sitze und fahre, kann das entweder automatisiert vonstattengehen oder aber ich spüre, wie ich im Sitz sitze, wie ich das Lenkrad mit meinen Händen umgreife, und bemerke aufsteigenden Ärger, wenn mir jemand die Vorfahrt genommen hat. Mit Achtsamkeit ist es möglich, anders zu reagieren, als es automatisch geschehen würde, so kann ich mich bewusst wieder entspannen.

Welche Ziele werden mit der Achtsamkeit verfolgt? Da gibt es verschiedene Zugänge. Ich unterrichte Achtsamkeit in Einzel- und Gruppensettings und möchte dabei Menschen helfen, mit sich selbst in Kontakt zu gelangen. Achtsamkeit ist nicht mit einem Kurs abgeschlossen, sondern eine Lebenshaltung, die Entscheidung, sein Leben bewusst zu erleben und allem zu begegnen, was da ist. Wir haben oft die Gewohnheit, Unangenehmes zu verdrängen, doch wenn wir achtsam sind, sind wir offen für alles, was kommt. Auf diese Weise können wir das Schöne intensiver wahrnehmen und mit dem Schwierigen besser umgehen. Die eigenen Urteile sind oft Auslöser für Stress. Zu erkennen, dass wir unseren Gedanken nicht immer glauben müssen, kann sehr entlastend sein.

"Achtsamkeit lässt sich im Alltag jederzeit üben."
Karin Würth
MBSR-Trainerin

Hilft Achtsamkeit auch bei zwischenmenschlichen Problemen? Ja, Achtsamkeit ist auch im Umgang mit anderen sehr unterstützend. Vieles in unserem Sozialverhalten geschieht automatisiert. Wie bei einem kleinen Kind, das nicht bekommt, was es möchte, und daraufhin wütend reagiert. Als Erwachsene haben wir die Möglichkeit, unsere Gefühle bewusst wahrzunehmen und anzusprechen, sei es in einer Paarbeziehung, sei es unter Arbeitskolleginnen und -kollegen. Achtsamkeit ist auch die Entscheidung, sich nicht einfach als Opfer zu sehen. Unser Kulturkreis hat uns so geprägt, dass wir Situationen schnell bewerten und danach handeln. Achtsamkeit hilft uns, kurz innezuhalten und Impulse zu spüren, statt sie direkt ausleben zu müssen. Wir gehen dann bewusst mit einer Situation um und sprechen über unsere Gefühle. Auch hat eine Studie erst kürzlich gezeigt, dass Achtsamkeit die Empathiefähigkeit steigert.

Sie unterrichten MBSR. Worum handelt es sich bei dieser Methode? Jon Kabat-Zinn, ein amerikanischer Wissenschafter, hat MBSR als Methode zur Stressbewältigung in den 1970er-Jahren entwickelt. Seine Wurzeln hat MBSR im Buddhismus, doch es enthält keine religiösen Aspekte. Es ist eine Mischung aus buddhistischer Geistesschulung, Meditation und achtsamen Körperübungen aus dem Hatha Yoga, verbunden mit dem westlichen Wissen über Stressphysiologie und -psychologie. Jon Kabat-Zinn hat an der Uniklinik in Massachusetts zu MBSR geforscht, immer mehr Menschen haben sich dafür interessiert und schließlich hat sich die Methode weltweit verbreitet. Sie wird auch in spezialisierten Formen angeboten, beispielsweise als Spezialprogramme zur Vermeidung von Rückfällen in eine Depression oder zur Therapie von Essstörungen und Süchten. Die Methode ist für das Gesundheitssystem relevant, Rehakliniken nutzen Achtsamkeit und MBSR für ihre Patienten. Im Grunde ist die Basis bei MBSR immer die gleiche: zu lernen, präsent zu sein, bewusst wahrzunehmen und nicht zu werten.

Bei welchen weiteren Problematiken kann Achtsamkeit helfen? Bei sehr vielen, sowohl psychischen als auch physischen. Bei Angststörungen, Panikattacken und Burn-out ebenso wie bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Laut Studien sinkt der Cortisolspiegel, Stresssymptome reduzieren sich und das Immunsystem wird gestärkt. Die bildgebenden Methoden in der Neurologie zeigen spannende Erkenntnisse, beispielsweise, dass sich das Angstzentrum im Gehirn verändert sowie Bereiche für die Körperwahrnehmung wachsen und sich besser vernetzen. Wir fühlen uns also tatsächlich mit der Zeit anders, wenn wir Achtsamkeit in unserem Alltag praktizieren. Es ist nach und nach möglich, aus dem typischen "Gedankenkarussell" auszusteigen.

Was sind die größten Herausforderungen dabei, achtsam zu sein? Das Dranbleiben. Achtsamkeit ist, wie wenn man ein Instrument lernen möchte. Man braucht viel Geduld, muss sich Zeit nehmen, am besten jeden Tag üben. Im Alltag geht es darum, sich zu erinnern: Wenn ich bei der roten Ampel stehe, hänge ich nicht in meinen Gedanken, sondern sehe mich um, registriere, was um mich herum passiert. Wenn die Bahn Verspätung hat, steigere ich mich nicht in Ärger hinein, sondern atme tief durch und akzeptiere, dass es gerade nicht weitergeht. Gut, dann habe ich jetzt Zeit, einfach nur da zu sein, und kann die Gelegenheit nutzen, bewusst loszulassen, meinen Atem zu spüren, vielleicht meinen Körper zu lockern, einen Schluck Wasser zu trinken. Ich kann andere informieren, dass ich zu spät komme, und muss nicht in eine Emotionalität geraten, denn ich kann das in dieser Situation ja nicht ändern. Wir bemerken unseren Stress, führen uns sanft wieder aus diesen Gedanken ins Hier und Jetzt und kommen viel entspannter an unserem Ziel an.