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"So konnte ich meine Depression überwinden"

Fünf Prozent aller Menschen in Österreich leiden unter Depressionen. Wie sich die Erkrankung gestaltet - und was sich dagegen tun lässt.

Auch aus den tiefsten Tälern gibt es einen Weg nach oben in die Sonne.
Auch aus den tiefsten Tälern gibt es einen Weg nach oben in die Sonne.

Im Alter von 14 Jahren beginnt für Linda Barth der Albtraum. Zuvor eine unbeschwerte Kindheit erlebt, empfindet sie plötzlich ein Gefühl der Leere, der Trostlosigkeit und Angst. Sie verletzt sich selbst, schlittert in eine Essstörung. Mit 16 versucht sie sich das Leben zu nehmen und wird in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen. "Das war meine Rettung", sagt die heute 33-Jährige. Die Diagnose: eine rezidivierende, also immer wiederkehrende Depression und ein Verdacht auf das Borderline-Syndrom.

Anzeichen einer Depression: Leere, Freud- und Hoffnungslosigkeit

Der Psychiater Richard Frey von der Medizinischen Universität Wien kennt das Krankheitsbild der Depression gut - es handelt sich um die häufigste psychische Erkrankung weltweit, so auch in Österreich. Sie ist allgegenwärtig. "Fünf Prozent aller Menschen sind gegenwärtig depressiv. Das ist tragisch, wenn man bedenkt, wie schlecht es den Betroffenen geht. Zehn bis zwanzig Prozent gehen im Laufe ihres Lebens durch eine Depression hindurch", sagt Frey. Besonders häufig betroffen seien 55- bis 75-Jährige, Frauen doppelt so häufig wie Männer, "Frauen sprechen allerdings auch eher über ihre Probleme und gehen eher zum Arzt als Männer".

Typische Symptome der Depression seien Niedergeschlagenheit, Freudlosigkeit, der Verlust des Interesses an Dingen, die früher Spaß gemacht haben, und an sozialen Kontakten sowie Probleme dabei, sich zu konzentrieren. "Betroffene spüren häufig ein Gefühl der inneren Leere und neigen zu einer Antriebsminderung. Sie sind müde und erschöpft, leiden jedoch häufig gleichzeitig unter Schlafstörungen", erklärt Frey. Morgens sei der Leidensdruck bei vielen besonders hoch. Aggressionen gegen sich selbst und gegen andere, das Gefühl, nicht auszureichen, sowie Schamgefühle und ein starker Leistungsabfall seien mögliche Symptome einer Depression. "Die Depressionen können sich bis zu einem Schuldwahn auswachsen. Die Menschen sind sich ganz sicher, schuldig zu sein, und niemand kann sie vom Gegenteil überzeugen."

Verhaltenstherapie bei Depressionen: Erfahrungen

Linda Barth, gebürtige Heidelbergerin, zieht mit 19 für ein Studium der Skandinavistik nach Berlin, später nach Freilassing, um in Salzburg das Studium der Psycho-, Neuro- und Klinischen Linguistik aufzunehmen. Zusätzlich arbeitet sie in einer Softwarefirma. Trotz vieler schwerer Phasen habe sie es geschafft, berichtet Linda Barth, sie fühle sich stabil. "In insgesamt acht Jahren Therapie habe ich gelernt, mit meinen Gedanken umzugehen", berichtet sie, "vor allem die Verhaltenstherapie hat mir sehr dabei geholfen, meine eigenen Muster zu erkennen und richtig zu reagieren." Sie habe sich die Frage abgewöhnt, warum es ausgerechnet sie treffe. "Ich gehe rational an die Sache ran: Da ist ein chemisches Ungleichgewicht in meinem Gehirn und es ist halt ein dummer Zufall, dass es gerade mich trifft. Ich bin dickköpfig: Ich will auch ein schönes Leben haben, und wenn ich dafür ärztliche Hilfe brauche, dann ist es eben so."

"Ich will ein schönes Leben haben, und wenn ich dafür ärztliche Hilfe brauche, dann ist das so."
Linda Barth
Betroffene

Medikamente und Therapie bei schweren Depressionen

Die Ursache für eine Depression zu erklären sei komplex, sagt Frey. "Es handelt sich um eine Wechselwirkung aus körperlich-organischen und psychologischen Faktoren. Die Kognition, Emotionen, das Verhalten, soziale Kontakte und die weiteren Lebensbedingungen beeinflussen die Psyche eines Menschen und können zu einer Depression führen." Eben weil es sich um eine Kombination aus körperlichen und psychologischen Ursachen handle, setze man in der Therapie von mittelgradigen und schweren Depressionen auf eine Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie. Auch Linda Barth hat so zu Stabilität in ihrem Leben gefunden. "Medikamente helfen gegen die düsteren Gefühle. Aber sie bringen dir nicht bei, wie du mit Situationen umgehen kannst, dafür braucht es die Therapie."

Ein Kampf gegen die Dunkelheit: Die Geschichte von Manfred Krippel

Den heute 63-jährigen Manfred Krippel traf es ebenso wie Linda Barth im Alter von 14 Jahren - allerdings zu einer anderen Zeit. "Mir haben sie damals gesagt, ich soll mich zusammenreißen", erinnert sich der Siezenheimer. Der Schüler kann sich plötzlich nicht mehr konzentrieren, die Noten werden schlechter. Der Traum, einmal auf eine höhere Schule zu gehen, rückt in immer weitere Ferne. Schließlich entscheidet sich der gebürtige Faistenauer für eine Bäckerlehre und lernt seine Freundin kennen, die nach drei Monaten schwanger wird. Die beiden kaufen eine Wohnung, bekommen insgesamt zwei Kinder. Existenzängste machen sich mehr und mehr in dem jungen Mann breit. Auf kurze gute Phasen folgen immer wieder Monate der Schwere. "Ich hatte massive Konzentrationsprobleme. Das war gefährlich, ich musste in meinem Beruf fünf Öfen gleichzeitig bedienen." Wenn das Telefon läutet, fürchtet Krippel, es könnte etwas Schlimmes passiert sein. Aus Angst verlässt er das Haus oft nicht, "nicht einmal bei schönstem Wetter".

"Die Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie hilft den meisten Betroffenen."
Richard Frey
Psychiater

Irgendwann hält es der Familienvater nicht mehr aus und versucht sich umzubringen. "Als ich dann im Krankenhaus lag und meine Frau meine Hand hielt, war das für mich wie eine Neugeburt. Ich habe eine Frau, die zu mir steht, und zwei liebe Kinder - was will ich mehr?" Krippel bekommt ärztliche Hilfe und geht in Psychotherapie. Er nimmt Medikamente, "die schweren Phasen hätte ich ohne nicht geschafft", und nach und nach hellt sich seine Welt wieder auf.

Vom Betroffenen zum Helfer: Erfahrungen in der Selbsthilfe

2005 besucht Krippel zum ersten Mal die Selbsthilfegruppe für Menschen mit Depressionen und Angststörungen in Salzburg, die er 2011 übernimmt und in "Angst frisst Seele auf" umtauft. In der Selbsthilfegruppe lernt Manfred Krippel auch den 60-jährigen Michael Huber kennen, dessen Name auf seinen Wunsch hin von der Redaktion geändert wurde. Den ehemaligen Büroangestellten traf die Depression erst im Alter von etwa 50 Jahren. "Ich habe mich immer antriebsloser gefühlt, nachdem es bei uns große Änderungen in der Arbeit gab und das Betriebsklima sich verschlechtert hat", erzählt Michael Huber. Irgendwann hat der Salzburger morgens kaum mehr die Energie, aus dem Bett zu steigen. Der Hausarzt überweist ihn zum Psychiater, der eine mittelgradige Depression sowie ein Burn-out-Syndrom feststellt. Zunächst ist Huber im Krankenstand, bei einem achtwöchigen stationären Klinikaufenthalt findet er langsam wieder Freude am Leben. "Die Klinik und die anschließende ärztliche Betreuung und Psychotherapie haben mir sehr geholfen", sagt er, "es ist wichtig, nicht einfach nur hinzugehen, sondern sich darauf einzulassen." Später kündigt er und ist durch die Vermittlung des AMS in verschiedenen Sozialvereinen beschäftigt. "Dort habe ich positive Erfahrungen gesammelt, die Menschen sind sehr nett."

Soziale Nähe zu anderen Menschen ist gerade in depressiven Phasen immens wichtig.
Soziale Nähe zu anderen Menschen ist gerade in depressiven Phasen immens wichtig.


Atemtechniken, soziale Kontakte und Wanderungen

Wer einmal unter einer Depression leidet, ist nicht zwangsläufig dauerhaft davon betroffen. Mit Medikamenten und Psychotherapie könne man den meisten Betroffenen beträchtlich helfen, sagt Frey. Aus ihren bisherigen therapeutischen Erfahrungen haben sich Linda Barth, Manfred Krippel und Michael Huber einiges an Werkzeug mitgenommen, mit dem sie Panikattacken und depressiven Gedankenspiralen begegnen. Atemtechniken helfen sehr, sind sie sich einig, "da findet man auch gute Anleitungen im Internet", ergänzt Huber. "Ich gehe mit meinem Hund raus und wandern. Oder ich rufe jemanden an und mache mir etwas aus - irgendwer hat immer Zeit", erzählt Linda Barth. "Es ist wichtig, herauszufinden, bei welcher Aktivität man sich gut entspannen kann, was einen aus den negativen Gedanken herausbringt", ergänzt Michael Huber, "bei mir ist es zum Beispiel spazieren gehen, Motorrad fahren und mit Freunden reden, die sich wirklich für mich interessieren." Sein Ehrenamt als Schiedsrichter beim Fußball ist es wiederum, was Manfred Krippel viel Freude bereitet, "das und meine Familie".

Bewegung an der frischen Luft und das Pflegen von engen sozialen Kontakten sind Faktoren, die auch Frey seinen Patientinnen und Patienten ans Herz legt. "Damit kann man keine mittelgradige oder schwere Depression behandeln, da braucht es einen Arzt", stellt er klar, "aber es wirkt präventiv und unterstützend zur ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung."

Medikamente im Kampf gegen die Depression

In vielen Fällen sei die Einnahme von Antidepressiva nahezu unausweichlich, um die Depression in den Griff bekommen und Betroffenen wieder Lebensqualität bieten zu können, sagt Frey. Die Forschung der vergangenen Jahrzehnte an solchen Präparaten sei intensiv gewesen, die heutigen Medikamente deutlich verträglicher als frühere Generationen. Besonders häufig im Einsatz seien die selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), die Einfluss auf das Nervensystem nehmen. "Diese Präparate wirken bei 50 bis 60 Prozent der depressiven Patientinnen und Patienten innerhalb eines Monats. Ihre Stimmung hellt sich nach und nach auf."

Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI) wirken wiederum antriebssteigernd, andere Präparate beruhigen und fördern die Schlafqualität, die bei Menschen in depressiven Phasen oft leidet, erklärt Frey. An weiteren Wirkstoffen werde ständig geforscht. Esketamin-Nasenspray sei mit einem anderen Wirkmechanismus als herkömmliche Antidepressiva eine neue Chance für bisher nicht ausreichend behandelte Patienten. "Idealerweise wird jedoch nicht allein auf Medikamente gesetzt, sondern auch auf Psychotherapie und gesundheitsfördernde Lebensstilfaktoren."

Gemeinsam gegen die Einsamkeit

Hilfe in Anspruch nehmen und sich miteinander austauschen, das legen Linda Barth, Manfred Krippel und Michael Huber Betroffenen nahe. Alle drei nehmen regelmäßig an den monatlichen Treffen der Selbsthilfegruppe teil: "Es tut gut und hilft, sich auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen und zu merken: Ich bin mit meinen Problemen nicht allein."

Hilfe und Kontakte für Betroffene

Selbsthilfegruppe "Angst frisst Seele auf"
in Salzburg:

https://gruppen.selbsthilfe-salzburg.at/afsa/

Krisenhotline Pro Mente im Land Salzburg:
Tel. in der Stadt Salzburg: 0662 / 43 33 51
Tel. im Pongau: 06412 / 20033
Tel. im Pinzgau: 06542 / 72600

Telefonseelsorge Österreich:
Tel.: 142
https://www.ts142.at/sprich-mit-uns/#chatten

Kids-Line, Beratung für Kinder und Jugendliche:
Tel.: 0800 / 234 123
https://www.kids-line.at/teens/