Eigentlich ist es kein neues Thema. Bereits seit den 1990er-Jahren wird das Hormon Melatonin, auch gerne als Nacht- und Schlafhormon bezeichnet, auf seine Wirkung auf die menschliche Psyche und das Schlafverhalten untersucht. Seit einigen Jahren jedoch ist ein neuer Trend um den Botenstoff entstanden. Verpackt in Tabletten, Dragees, Sprays und Gummibärchen lässt er sich einnehmen, um, so verspricht es zumindest die Werbung, besser ein- und durchschlafen zu können. Ein Trend, den die Psychotherapeutin Brigitte Holzinger, die an der Medizinischen Universität Wien zum Thema Schlafverhalten forscht und lehrt, sehr bedenklich findet. "Melatonin einzunehmen, ohne das ärztlich abklären zu lassen, ist eine äußerst schlechte Idee", betont die Expertin, "es klingt harmlos und sieht in Form von Gummibärchen und Sprays auch harmlos aus, bewirkt jedoch eine Kaskade an hormonellen Veränderungen, die nicht mitbedacht werden."
Zwei Gegenspieler: Melatonin und Serotonin
Melatonin als Schlafhormon zu bezeichnen sei eigentlich falsch, erklärt Holzinger weiter. Vielmehr handle es sich dabei um ein Dunkelhormon, das den Schlaf insofern fördere, als es dem Körper vermittle, dass es Nacht und damit Zeit für Regeneration sei. Die Botenstoffe Melatonin und Serotonin sind im menschlichen Körper eng miteinander verbunden und beeinflussen nicht nur den Schlaf-wach-Rhythmus, sondern auch das allgemeine Wohlbefinden. Während Melatonin vermehrt bei Dunkelheit ausgeschüttet wird, erhöht sich der Serotoningehalt im Blut bei Tageslicht. Damit sind die beiden Hormone Antagonisten in einem komplexen System - Melatonin macht, stark vereinfacht gesprochen, müde, Serotonin wiederum munter.
Beide Botenstoffe stehen dabei im ständigen wechselseitigen Einfluss. Eine ausgewogene Bildung von Serotonin ist entscheidend für die ausgewogene Bildung von Melatonin und vice versa. Entsteht ein Ungleichgewicht, kann das zu mannigfaltigen Problemen führen, darunter Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Depressionen.
Melatonin als Gummibärchen: "Verantwortungsloser Hype"
Mit der Einnahme von Melatonin greift eine Person in dieses komplexe Wechselspiel ein. "Was viele nicht auf dem Schirm haben, weil das Thema aktuell von der Industrie verantwortungslos gefördert wird, ohne auf die Risiken einzugehen: Auch die Geschlechts- und Verdauungshormone werden dabei mitbeeinflusst", warnt Holzinger.