Der Schlaf ist ein Hineinkriechen des Menschen in sich selbst." Diesen wunderbaren Satz hat der deutsche Lyriker und Dramatiker Friedrich Hebbel Mitte des 19. Jahrhunderts in sein Tagebuch geschrieben. Möglicherweise bei Kerzenschein, denn das elektrische Licht sollte erst knapp 20 Jahre später erfunden werden. Was damals ein Segen war, ist heute oft ein Fluch: wenn das blau beleuchtete Handy samt TikTok, Fortnite oder Brawl Stars abends ins Schlafzimmer "mitwandert" und die Gesundheit der Kinder stört, besser gesagt: ihren Schlaf.
Experten einig: Unterricht beginnt zu früh
Nächste Woche wird in vielen Kinder- und Jugendzimmern wieder gemurrt, gestöhnt, geschimpft. Die Ferien sind zu Ende, nun gibt die Schule vielen müden Kindern den Rhythmus vor. Weltweit sind sich Pädagoginnen, Mediziner, Psychologinnen und manche Lehrer einig: Der Unterricht beginnt zu früh. Optimal wäre ein Schulstart um 8.30 Uhr, wie etwa die Universität Minnesota resümiert. Dort wurden 9000 Schülerinnen und Schüler von acht Schulen in drei US-amerikanischen Bundesstaaten begleitet. Es zeigte sich, dass bei einem Schulbeginn von 8.30 Uhr statt 8 Uhr nicht nur Noten der Kinder und Jugendlichen besser wurden - auch die Zahl der morgendlichen Autounfälle ging zurück, die von älteren Schülern verursacht wurden.
In der Pubertät werden Jugendliche eher zu Spätaufstehern
Die Chronobiologie, die die Wirkung des Tagesrhythmus in Verbindung mit den Körperfunktionen erforscht, teilt Menschen in drei Gruppen ein: In die "Lerchen", also die Frühaufsteher, und in die "Eulen", die erst später auf Touren kommen; zwei von drei Personen sind irgendwo dazwischen.
Tatsächlich haben Schlafforschung und Psychologie recht eindeutige Belege erbracht, dass für die meisten Kinder ein späterer Schulbeginn sinnvoller wäre: Länger schlafen wäre also eine gute Idee für die meisten. Und das liegt nicht unbedingt daran, dass Jugendliche das Ins-Bett-Gehen gerne nach hinten verschieben, weil sie lieber ins Handy schauen. Vielmehr wissen Biologen: Junge Menschen entwickeln sich im Laufe der Pubertät eher zu Spätaufstehern, die erst im späteren Tagesverlauf leistungsfähig werden. Ein "Umprogrammieren" oder Früh-ins-Bett-Schicken ist hier oft wenig erfolgversprechend.
An den Schulen heißt es: Alles nicht so einfach
Warum startet der Unterricht dann so früh? Eine AHS-Lehrerin, die hier nicht genannt werden möchte, liefert eine zumindest unterhaltsame Anekdote, die freilich ein Einzelfall sein kann. Demnach sei die Abstimmung des Lehrkörpers in ihrer Schule schlicht deshalb zugunsten des früheren Schulbeginns ausgefallen, weil die Kolleginnen und Kollegen lieber früher heimgehen wollten.
Georg Stockinger von der AHS-Gewerkschaft kennt solche Aussagen aus der Kollegenschaft vor allem von jenen, die selbst Kinder haben. Er verweist zudem auf Rahmenbedingungen, die sich nicht so einfach ändern ließen. Auch wenn Schulen ihre Beginnzeiten in Absprache mit Lehrern, Eltern, Schülervertretern selbst festlegen könnten - gerade in großen Schulen oder Schulzusammenschlüssen wie der Josef-Preis-Allee würden oft massive organisatorische Probleme auftreten. Vor allem wenn man sich Infrastrukturen, etwa die Turnsäle, teile. Oft sind es aber auch die Eltern, die frühere Beginnzeiten wollen: Meist dann, wenn sie selbst berufstätig seien, betont Stockinger.
Jeder fünfte Mensch kämpft mit Schlafstörungen
Robert Birnbacher leitet die Kinder-Abteilung im Krankenhaus Villach - und ist ein Befürworter eines späteren Schulstarts. Nicht zuletzt, weil Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen zunähmen, fast jeder fünfte junge Mensch sei davon betroffen. "Man muss das ernst nehmen und mit sorgfältiger Diagnostik sicherstellen, dass nicht etwas Organisches oder Seelisches dahintersteckt. Schlaf ist extrem wichtig, er verhindert Krankheiten, und ein ausgeschlafener Mensch ist leistungsfähiger." Sein Kollege Harald Kenzian leitet das Schlaflabor im Villacher Krankenhaus. Dort wird auch anderen Gründen für Schlafprobleme nachgegangen, wie dem Schlafwandeln, dem plötzlichen Aufschrecken aus dem Schlaf, oder Atemaussetzern, weil Mandeln und Polypen sich vergrößern und den Rachenraum einengen. Immer gilt: "Bekommt ein junger Mensch zu wenig Schlaf ab, kann das zu körperlichen Problemen führen, etwa im Herz-Kreislauf-System, beim Wachstum oder durch Einnässen."
Schlafstörungen haben oft psychische Ursachen
Nicht selten stelle sich auch das, was heute schnell als ADHS diagnostiziert werde, als Schlafstörung heraus, betont Kenzian. Unter seinen Patienten sind auch chronisch müde Jugendliche, bei denen mittels EEG die Schlafphasen beobachtet werden. Vor allem, ob sie genügend regenerierende Tiefschlafphasen erleben. Oft hätten Schlafstörungen psychische Ursachen, betont Kenzian - aber das lasse sich noch nicht mit Elektroden feststellen, fügt er schmunzelnd hinzu.
Immer wieder hat der Arzt auch mit überbesorgten Eltern zu tun; für sie hat er einen Rat: Auch Schlaf ist eine Fähigkeit, die sich entwickeln muss, im Zweifelsfall hilft der Schlafmediziner oder Kinderarzt.
Das nächtliche "Hineinkriechen des Menschen in sich selbst" sei überlebensnotwendig, betonen Birnbacher und Kenzian. Wäre da nicht der Zeitgeist, der laufend neue Medienformen und damit Reizüberflutung in die Kinder- und Jugendzimmer bringt. Handy, Tablet und Laptop sind mit ihrem blauen Licht wahre Schlafstörer, weil sie die innere Uhr durcheinanderbringen. Blaues Licht unterdrückt die Melatoninproduktion, die uns müde machen und auf den Schlaf vorbereiten soll, wie Kinderarzt Birnbacher betont.
Das Handy, der Todfeind des guten Schlafes
"Bei Kindern und Jugendlichen gehen dann Schlafdefizite unter der Woche mit Konzentrationsschwierigkeiten und am Wochenende mit einem gesteigerten Schlafbedürfnis einher." Die Reizüberflutung, der junge Menschen ausgesetzt sind, bedeutet auch für die Eltern mehr Arbeit. Ein "Geht's doch raus zum Spielen", das vor 20 Jahren die Kinder noch zum Aufenthalt unter freiem Himmel bewegt hat, lässt sie heute nur noch schmunzeln. Kinder bewegen sich weniger, sind stärker übergewichtig und öfter kurzsichtig, von süchtigmachenden Medieninhalten ganz zu schweigen.
Dem müssen Eltern mehr als früher entgegenhalten, betont Kinderarzt Birnbacher: "Es braucht klare Nutzungsgrenzen, medienfreie Zeiten, gemeinsame Unternehmungen, vor allem sollten Eltern mit den Kindern in Kommunikation kommen, um über ihr Leben und ihre Probleme informiert zu werden." Die Erwachsenen sollten vor allem eines: bei der eigenen Mediennutzung mit gutem Beispiel vorangehen.
Brigitte Holzinger ist Psychologin und Schlafcoachin, sie berät, hält Vorträge und leitet einen Masterlehrgang an der Medizinischen Universität Wien über den gesunden Schlaf. Sie betont: "Es herrscht eine große Kluft zwischen dem, was man aus der Schlafforschung bereits weiß, und der Form, wie es praktisch stattfindet." Ebenso wie man kleine Kinder das Gehen lehre, müsse man ihnen auch beibringen, gut zu schlafen, sagt Holzinger. "Eltern müssen Kinder an der Hand nehmen und möglichst früh daran gewöhnen, im eigenen Bett zu schlafen."
Bei älteren Kindern sieht auch sie den "Social Jetlag" als großes Problem, wenn langes Handyscrollen am Abend den gesunden Tagesrhythmus verschiebt. Eltern sollten darauf achten, dass das Handy nachts nicht mehr im Kinderzimmer ist. Und untertags wäre es wichtig, Kinder und Jugendliche trotz allen Widerstands immer wieder zum Aufenthalt an der frischen Luft zu animieren: "Natürliches Licht treibt die innere Uhr an und verbessert den Schlaf in der Nacht." Plagen Albträume oder stören Probleme des Tages den Schlaf, sollte darüber geredet werden. "Während der Pandemie hat sich gezeigt, dass hohe Leistungsansprüche nicht selten mit mehr Albträumen einhergingen. Kinder waren mehr als zuvor allein, so fehlte einiges an Entwicklungsmöglichkeiten", sagt Holzinger. "Gleichzeitig sind die Leistungsansprüche, auch die eigenen, oft hoch geblieben. Weil der Kontakt zu anderen weg war, haben sich viele ins Lernen getigert."
Auch für Eltern hat die Psychologin einen nur scheinbar trivialen Rat: Nämlich, gut auf sich zu schauen. Nicht selten erlebt Holzinger Frauen jenseits der 50, die seit vielen Jahren schlecht schlafen. Bei genauem Nachfragen stellt sich immer wieder heraus, dass die Schlafstörung mit der Geburt des Kindes kam und nie behandelt wurde.