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Tabuthema Inkontinenz: Wie ein starker Beckenboden helfen kann

Der Beckenboden liegt versteckt im Körper. Vor allem Frauen sollten ihn dennoch nicht vernachlässigen, dafür ist er zu wichtig.

Spezielle Übungen in der Beckenbodengymnastik sind wichtig, um  die Körpermitte zu stärken, und wirken vorbeugend gegen Inkontinenz.
Spezielle Übungen in der Beckenbodengymnastik sind wichtig, um  die Körpermitte zu stärken, und wirken vorbeugend gegen Inkontinenz.

Der in Geldangelegenheiten geläufige Rat, "dass man rechtzeitig drauf schaut, dass man's hat, wenn man's braucht", stimmt für den Beckenboden genauso. Mit einer Anpassung: Die Erhaltung eines starken Beckenbodens ist primär eine Herausforderung für Frauen, was keineswegs heißt, dass nicht auch im Laufe männlicher Krankheitsbiografien, zum Beispiel nach einer Prostataoperation, der Beckenboden in den Fokus medizinischer Behandlung rückt.

Beckenboden verbindet Rücken und Bauch

Dass der Beckenboden oft erst dann die notwendige Aufmerksamkeit erhält, wenn es zu Funktionsstörungen wie unfreiwilligem Harnverlust oder einer Senkung der Beckenorgane kommt, liegt an seiner versteckten Lage. "Der Beckenboden verbindet die Rücken- mit der Bauchmuskulatur und verschließt quasi unsere Bauchhöhle nach unten hin", verortet Oberärztin Sophina Bauer den Beckenboden, der aus Muskelschichten und Bindegewebe besteht, zwischen dem Schambein vorne und dem Kreuzbein hinten. Bauer ist Fachärztin für Urologie und Andrologie an den Salzburger Landeskliniken (SALK) und medizinische Leiterin des dort angesiedelten Beckenbodenzentrums.

Belastungsprobe für Beckenboden: Geburt

Seine Position in der Körpermitte macht den Beckenboden zum zentralen Netz, das die Beckenorgane in richtiger Lage hält, eine wichtige Rolle bei Sexualität, Potenz und Schwangerschaft erfüllt und die Öffnungen für die Entleerung der Blase und den Stuhlgang bereitstellt: Bei Männern sind das Harnröhre und Enddarm, bei Frauen kommt noch die Scheide dazu.

Schwangerschaft und Geburt stellen eine große Belastungsprobe für den Beckenboden dar. Einerseits muss er in dieser Zeit ausreichend Stabilität bieten, um das Kind zu tragen, andererseits müssen sein Gewebe und die dazugehörenden Muskeln und Bänder die nötige Flexibilität zeigen, um Platz für den Schwangerschaftsbauch zu bieten. Mit professioneller Rückbildungsgymnastik nach Ende der Schwangerschaft können Frauen ihren Beckenboden dabei unterstützen, zur notwendigen Kraft und Stabilität zurückzufinden.

Hohe Dunkelziffer: Beckenbodenprobleme belasten viele Frauen

Operationen im Bereich des Beckens, falsches Heben schwerer Gegenstände, schlechte Körperhaltung, Übergewicht, aber auch starkes Pressen auf der Toilette tragen zur Schwächung des Beckenbodens bei. Die hormonelle Umstellung im Gefolge der Menopause kann sich ebenfalls negativ auf den Zustand des Beckenbodens auswirken. Wie weit verbreitet gesundheitliche Probleme mit dem Beckenboden bei Frauen sind, belegen Fachartikel: Durchschnittlich ein Drittel der Frauen leidet im Laufe des Lebens an Erkrankungen des Beckenbodens, bei beinahe jeder fünften, fast 20 Prozent der Frauen, sind Operationen zur Linderung oder Beseitigung der Beschwerden notwendig.

"Inkontinenz ist ein Tabuthema und stark schambesetzt."
Sophia Bauer
Oberärztin SALK

Bei Harninkontinenz infolge eines schwachen oder in Mitleidenschaft gezogenen Beckenbodens schätzt Oberärztin Bauer die Dunkelziffer der Patientinnen als sehr hoch ein: "Inkontinenz ist nach wie vor ein Tabuthema und stark schambesetzt, die Patientinnen trauen sich oft jahrelang nicht, sich ihrem Hausarzt anzuvertrauen." Bauer verweist auf eine belgische Studie, die von drei bis sechs Jahren Leidensdruck ausgeht, bis sich die betroffenen Frauen an eine für die Lösung des Problems kompetente Stelle wenden. Oft reicht in diesen Fällen bereits plötzliches Husten, Lachen oder Niesen aus, dass ungewollt Harn gelassen wird, weil sich die Beckenbodenmuskulatur nicht mehr ausreichend anspannen kann, um den Druck abzufangen. Auch durch Rauchen verursachte Hustenanfälle setzen den Beckenboden Erschütterungswellen aus. Hinzu kommt, dass sich Nikotin generell negativ auf die Spannkraft menschlicher Gewebe auswirkt.

Werbung verharmlost die Inkontinenz-Problematik

Als nicht hilfreich nennt Bauer den Umgang mit dem Thema in den Medien und vor allem in der Werbung, wo Inkontinenz nicht als eigenes Krankheitsbild auftauche: "Stattdessen wird das Problem als quasi normale Alterserscheinung heruntergespielt und auf die Frage nach der richtigen Einlage reduziert, als wäre die Sache mit einer passenden Binde erledigt - dass dahinter eine Erkrankung steht, die behandelt gehört und für die es gute Therapiemöglichkeiten gibt, kommt viel zu kurz."

Fachtherapeuten bieten gezielte Beckenbodentherapie an

Dabei gebe es auf den Beckenboden spezialisierte Physiotherapeutinnen und -therapeuten, die maßgeschneiderte Therapien sowohl für Frauen, Männer als auch Kinder anböten. Diese Fachkräfte hätten auch die gesetzliche Erlaubnis, mit Einverständnis der Patientinnen und Patienten den Beckenboden vaginal oder anal abzutasten, um dabei die einzelnen Muskelgruppen bestimmen und die Kräftigungsübungen zielgenau anleiten zu können. Die Beckenbodenkontraktion lasse sich von außen nicht sehen, beschreibt Bauer die Herausforderung für die Therapeuten, weswegen diese eine solide Ausbildung und ein profundes Wissen über den Beckenboden brauchen. "Wenn Sie zu mir sagen: Spannen Sie den Bizeps an, dann sehen Sie, ob ich das mache oder nicht", erklärt die Oberärztin den Unterschied. "Aber wenn Sie mir sagen: Spannen Sie den Beckenboden an, kann ich das absolut falsch machen und vielleicht nur den Po anspannen." Unter fachgerechter Anleitung sei es möglich, "wieder viel Muskelkraft herzustellen und den Beckenboden physiologisch aufzubauen".

Beckenboden entspannen, Schmerzen lindern

Gleichzeitig betont Bauer, dass nicht nur ein schwacher Beckenboden zu gesundheitlichen Problemen führt: "So kann der chronische Beckenschmerz, bei dem unterschiedliche Organe bzw. der Beckenboden ohne sichtbare Ursache ständige Schmerzen verursachen, die Folge eines Beckenbodens in ständiger Anspannung sein." Die davon betroffenen Frauen und Männer litten massiv, sagt Bauer, die an diesem Beispiel aufzeigen möchte, "dass es zum gesunden Grundtonus eines Beckenbodens gehört, diesen gut anspannen, aber auch entspannen zu können, ohne dabei verkrampft zu sein".

Wichtig ist ihr zudem die Klarstellung, "dass Inkontinenz nicht immer etwas mit dem Beckenboden zu tun haben muss". Ursache dafür könne auch eine "Reizblase" sein, wie der Volksmund eine überaktive oder überempfindliche Blase bezeichnet, die Frauen wie Männer betreffen kann. "Deswegen sollte man das unbedingt fachärztlich abklären lassen", lautet Bauers Empfehlung.

Medizinische Kontinenzgesellschaft Österreich: www.kontinenzgesellschaft.at