"Kindern mit ADHS fehlt häufig das Selbstwertgefühl"
Karin Schmid-Gallistl
ADHS-Verband ADAPT
Doch worin unterscheidet sich ADS von ADHS?
Unter ADS wird ein reines Aufmerksamkeitsdefizit verstanden. Kinder machen oft Sorgfaltsfehler, verlieren und vergessen vieles, wirken stark verlangsamt und haben im Unterricht oft noch nicht einmal ihr Mathematikbuch gefunden, während die Klassenkolleginnen und -kollegen bereits die ersten Beispiele rechnen. Kommt Hyperaktivität hinzu, ist von ADHS die Rede. Joni spricht manchmal sehr viel, quatscht andere nieder. "Manche Kinder haben einen so übersteigerten Bewegungsdrang, dass sie sogar über Tische und Bänke laufen", sagt Karin Schmid-Gallistl von ADAPT. "Weder im Sitzkreis im Kindergarten noch in der Schule oder im Restaurant können sie ruhig sitzen."
ADS oder ADHS? Tests bringen Gewissheit
Aber nicht nur mit dem Würfel, auch mit Bändern oder Ringen spielt Joni regelmäßig. Das tue ihm gut, seit er im Frühjahr von der Diagnose erfahren hat, erzählt er. "Drei bis zehn Prozent der Kinder zeigen heute Symptome von ADHS", erklärt die klinische Psychologin Bettina Schuh-Tüchler. Die Dunkelziffer soll jedoch weit darüberliegen. "Erst eine Untersuchung bringt Gewissheit und eine Erleichterung sowohl für die Familien als auch für die Betroffenen." Diese erfolgt im Rahmen von mehreren Testungen - darunter je ein Persönlichkeits-, ein Intelligenz- sowie ein Leistungstest. Herausgekommen ist bei Joni, dass er eine schwache Variante von ADHS hat, aber mit 120 auch einen sehr hohen Intelligenzquotienten, was bei ADHSlern keine Seltenheit sei. Für Bettina Schuh-Tüchler reagiert die Gesellschaft heute viel sensibler auf ADHS als noch vor Jahren, weshalb immer mehr Eltern ihre Kinder testen lassen. "Das Syndrom wird früher diagnostiziert", so die klinische Psychologin, "obwohl es nicht öfter auftritt."
Für ADAPT-Vorsitzende Karin Schmid-Gallistl, die selbst Mutter eines an ADHS erkrankten Kindes ist, ist die Diagnose ein erster Schritt. Die heute 61-Jährige setzt sich seit über 19 Jahren mit der Erkrankung beruflich auseinander, teilt ihr Wissen und lädt Eltern zum Erfahrungsaustausch ein. Auch betreibt sie einen eigenen Podcast, den sie während der Pandemie ins Leben gerufen hat. Als zertifizierte Elterntrainerin unterstützt sie Betroffene, deren Familien, Lehrerinnen sowie Sozialarbeiter, sensibilisiert Ärztinnen, Psychologen und Therapeutinnen. Denn viele ADHSler würden nach wie vor von Menschen in ihrem Umfeld stigmatisiert, was aber nicht sein darf.
Unterstützung bei ADHS aus der Schule
"Der Schulalltag hat sich seit der Diagnose stark verändert", gibt Jonis Mutter Sabine zu, die zu Beginn des aktuellen Schuljahres um einen Nachteilsausgleich bei der Bildungsdirektion ansuchte, damit ihr Sohn im Gymnasium besser unterstützt wird. Seine Lehrer gehen seither besonders auf den Buben ein, unterstützen ihn und geben ihm bei Schularbeiten und Tests mehr Zeit, um sie abzuschließen. Das Erfreuliche ist, dass sich seine Leistungen seither deutlich verbessert haben. Auch von seinen Schulkollegen werde er wieder akzeptiert, was den Buben sehr freut. Bevor er in der Früh die Wohnung verlässt, nimmt er daher die Kapsel eines Medikaments. Es helfe ihm, sich im Unterricht besser konzentrieren zu können und entspannter zu sein.
Die Diagnose von ADHS geht ins Geld
- vor allem dann, wenn sie bei einer Wahlärztin oder einem Wahlarzt gestellt wird. Denn die Honorare müssen zuerst vorgestreckt werden, was sich manche Familien nicht leisten können. "Die Höhe der Kostenerstattung beträgt gemäß gesetzlichen Bestimmungen 80 Prozent jenes Tarifs, den die Österreichische Gesundheitskasse einer Vertragspsychologin bzw. einem Vertragspsychologen für die klinisch-psychologische Diagnostik bezahlt", heißt es dazu von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Voraussetzung dafür ist eine Zuweisung durch einen Vertragsfacharzt oder eine Vertragsfachärztin, einen Psychotherapeuten oder eine Psychotherapeutin oder eine Vertragseinrichtung. Wartezeiten auf einen Diagnoseplatz von bis zu einem halben Jahr sind dabei keine Seltenheit. "Doch jeder Tag, an dem ein Kind nicht therapeutisch unterstützt wird, ist ein verlorener Tag", ist Karin Schmid-Gallistl, überzeugt und fordert mehr Diagnoseplätze. "Kinder mit ADHS haben in der Regel so gut wie gar keinen Selbstwert mehr, weil sie von ihrem Umfeld wie Freunden oder Schulkolleginnen kritisiert und ausgegrenzt werden."
Joni legt die Bänder wieder auf den Tisch. "Jetzt geht es mir deutlich besser", sagt der Bub erleichtert. Entspannen kann er sich nicht nur damit gut, sondern auch am Fußballplatz oder im Schwimmbad. Donnerstags spiele er Schlagzeug, was immer ein guter Ausgleich für ihn sei. "Ja, ich kann heute mit ADHS umgehen", sagt der Teenager selbstbewusst: "Und darauf bin ich stolz."