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Essen retten, das noch gut ist

Die vollen Regale im Supermarkt haben eine Kehrseite: Es wird viel weggeworfen. Und das, obwohl viele Lebensmittel noch gut sind. Jannik Görger holt sie ab. Einkaufen ist dann geschenkt.

Jannik Görger fährt Essen holen. Nicht einkaufen, nur holen. Deshalb parkt er sein Lastenfahrrad auch nicht vor dem Denns Biomarkt in der Alpenstraße, sondern fährt hintenherum zu den Laderampen. Dort stapeln sich bereits ein paar Kisten. "Das ist richtig viel heute", sagt Jannik und schaut genauer hin. Romanesco, Gurken, Schafmilchjoghurts mit Ribisel, Rostbratwürste, Back-Camembert, gelbe und rote Paprika, Curry-Dattel-Dip, drei Kräuterstöcke - Majoran und zwei Mal Koriander - und ein Brathuhn. Am Vortag abgelaufen.

Paprika mit ein kleinen Fältchen, Bananen mit braunen Flecken. Kein Fall für den Müll, sondern einer für foodsharing.at.
Paprika mit ein kleinen Fältchen, Bananen mit braunen Flecken. Kein Fall für den Müll, sondern einer für foodsharing.at.

Ein Herr in weißer Arbeitskleidung, der gerade von der Denns-Feinkosttheke in die Frischluftpause auf der Rampe gewechselt ist, sagt: "Ein Mindesthaltbarkeitsdatum heißt ja nicht, dass es danach tödlich ist. Ein Joghurt kannst du sechs Wochen drüber noch essen. Die Menschen haben die Sensorik verloren. Sie müssten doch nur an etwas riechen. Aber sie schauen auf das Haltbarkeitsdatum und schon landen viele Dinge im Müll."

Denns-Mitarbeiter: "Die Menschen haben die Sensorik verloren"

Er schüttelt den Kopf. Dass sein Betrieb Foodsharing ermöglicht, also die Abholung durch Menschen wie Jannik gutheißt, findet er sinnvoll - und eigentlich logisch. Bevor er wieder hinein entschwindet, hat er auch noch einen Tipp parat: "Die Leute wissen ja auch nicht mehr, wie man aus nicht mehr so frischen Sachen absolut Gutes zaubern kann. Welken Salat zum Beispiel, den legt man in eine Schüssel mit etwa drei Teelöffeln Zucker und schon sieht er wieder frisch aus." Sagt's und geht wieder hinein, zu den ganz frischen Sachen.

„Ein halbes Huhn. Das war mal ein Lebewesen. Und jetzt landet es im Müll? Das pack ich heute in den Gefrierschrank und bereite es mir später zu“, sagt Jannik Görger.
„Ein halbes Huhn. Das war mal ein Lebewesen. Und jetzt landet es im Müll? Das pack ich heute in den Gefrierschrank und bereite es mir später zu“, sagt Jannik Görger.

Jannik ist derweil im Glück. "Heute gibt's Camembert auf Romanesco. Oder Huhn mit Knödel. Diese Woche ist Knödelwoche. Morgen dann Knödel mit Rostbratwürstel." Seit er bei Foodsharing mitmacht, macht er sich keine Gedanken mehr, was er kochen wird. "Es wird hier entschieden", sagt er. "Ich habe auch schon wahnsinnig viel kennengelernt. Knollen, Aufstriche, die ich sonst wahrscheinlich nicht gekauft hätte."

Seine Aufgabe hier an der Rampe ist nun: die Entsorgung übernehmen. Zeitaufwand: etwa zehn Minuten. Dinge, die wirklich verdorben sind, wegwerfen. "Und zuvor das rauszupfen, was noch gut ist. Bei Zitronen zum Beispiel wird das ganze Netz weggeworfen, wenn eine schlecht ist." Also trennt er. Die Guten in sein Lastenrad, die Schlechten in die Biotonne gleich neben der Rampe.

Görger übernimmt an diesem Tag die Entsorgung für den Biomarkt Denns in der Alpenstraße. Was er nicht mitnimmt, kommt in die Tonne, den großen Rest packt er ein.
Görger übernimmt an diesem Tag die Entsorgung für den Biomarkt Denns in der Alpenstraße. Was er nicht mitnimmt, kommt in die Tonne, den großen Rest packt er ein.

Der Biomarkt verlässt sich darauf, dass er selbst sich ums Wegwerfen nicht kümmern muss. Dafür darf Jannik abzweigen, was er will. Und das ist eine Menge. "Was wird das sein? Ein Einkauf für 150 Euro?", fragt er, als er am Ende vor drei gehäuft gefüllten Kisten steht. "Locker. Allein kann ich das oft gar nicht verarbeiten. Dann gebe ich Freunden etwas ab. Oder: Es stehen in der Stadt sogenannte Fairteiler. Meist sind das Kühlschränke, wo die sind, steht auf der Foodsharing-Homepage (www.foodsharing.at). Die kann man befüllen und innerhalb von einer halben Stunde ist dann meist alles weg."

Wer sich bei Foodsharing anmeldet, kann freie Abholzeiten einsehen

Seine Motivation ist klar: "Ich mach das aus Überzeugung", sagt er, während er einzelne, abgefallene Salatblätter aussortiert. "Manche, die Kaninchen haben, nehmen die vielleicht auch noch mit. Wo waren wir? Ach ja, warum ich das mache: Ich hab hier Zugriff auf Lebensmittel, die absolut hochwertig sind, die ich mir sonst nicht kaufen würde. Super Gemüse für umsonst. Aber genauso wichtig: Man kehrt hier einen Fehler des Kapitalismus wieder um."

Jannik macht das jede Woche. Verpflichtung dazu gibt es aber keine. Ist man einmal auf Foodsharing angemeldet und interessiert sich für einen bestimmten Betrieb, kann man eine Übersicht über freie Abholzeiten einsehen und sich eintragen. Weitere Abholer sind willkommen, weitere Kooperationsbetriebe auch. "Ich denke, es wäre so gut für das Image von Betrieben, wenn sie sich auf die Fahnen heften können, dass sie sich an der Verschwendung nicht mehr beteiligen", sagt Jannik.

Sinnstiftend auch für die Betriebe

Bei Denns ist man über die Zusammenarbeit begeistert. "Die Leute sind verlässlich, sie reagieren schnell, wenn zum Beispiel in einem Biomarkt die Kühlung ausgefallen ist. Das Ganze läuft unkompliziert und ist sinnstiftend", sagt Lukas Niedoba vom Denns-Marketing. "Auch wenn wir versuchen, möglichst wenig Foodwaste entstehen zu lassen, geschieht es trotzdem. Durch Foodsharing können wir die Biolebensmittel retten." Seit 2014 wurden in allen Biomärkten der Kette über 200 Tonnen Lebensmittel gerettet - von Menschen wie Jannik, aber auch für Obdachlosenküchen, Frauenhäuser oder Wohnungen für Menschen mit Behinderungen.

Jannik schwebt da noch viel mehr vor. "Ich habe früher in Karlsruhe gelebt, da ist Foodsharing schon viel bekannter. Da fahren viele mit so gemüsebeladenen Fahrrädern herum wie ich." Foodsaver rücken dort auch aus, wenn Kantinen nach einem Tagesgeschäft zusperren und die Töpfe nicht leer sind. Genauso zu Christkindlmärkten. "Ich könnte mir auch vorstellen, dass man Kindergärten oder Schulen ansprechen kann." Essen, das nicht mehr verkauft wird, abzuholen, werde oft als "nicht standesgemäß" empfunden, sagt Jannik. Als Schande.

"Ich seh das nicht so. Ich fahr hier jedes Mal als Gewinner weg."

Jannik Görger holt Essen ab, das am Vortag abgelaufen ist. Es ist eine Menge. „Und das ist doch alles noch gut“, sagt er. „Joghurts halten locker noch einen Monat nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums.“
Jannik Görger holt Essen ab, das am Vortag abgelaufen ist. Es ist eine Menge. „Und das ist doch alles noch gut“, sagt er. „Joghurts halten locker noch einen Monat nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums.“