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Salzburgerin repariert Kleidung so, dass sie sogar schöner wird

Anne Neuhauser begegnet Gebrauchsspuren auf Textilien freudvoll mit japanischen Techniken, die gesehen werden wollen.

Anne Neuhauser mit dekorativ reparierter Kleidung und aus Flicken genähten japanischen Beuteln in Boro- und Sashiko-Technik.
Anne Neuhauser mit dekorativ reparierter Kleidung und aus Flicken genähten japanischen Beuteln in Boro- und Sashiko-Technik.
Zwischen die horizontal und vertikal gestickten Reihen hat Anne Neuhauser Garn eingewebt.
Zwischen die horizontal und vertikal gestickten Reihen hat Anne Neuhauser Garn eingewebt.
Decke in Sashiko-Technik.
Decke in Sashiko-Technik.
 Boro
Boro
Jeans mit Sashiko
Jeans mit Sashiko
Jeans mit Sashiko
Jeans mit Sashiko
Bei Löchern wird vor dem Sticken ein Stück Stoff untergelegt.
Bei Löchern wird vor dem Sticken ein Stück Stoff untergelegt.
Kanten mit Stil.
Kanten mit Stil.
Der Beutel wird an einer Schlaufe getragen.
Der Beutel wird an einer Schlaufe getragen.
Upcycling vom Schönsten.
Upcycling vom Schönsten.
Upcycling vom Schönsten.
Upcycling vom Schönsten.
Upcycling vom Schönsten.
Upcycling vom Schönsten.
Visible Mending: So werden Löcher in Pullovern zum Hingucker.
Visible Mending: So werden Löcher in Pullovern zum Hingucker.
Sashiko
Sashiko
Sashiko
Sashiko
Sashiko
Sashiko
Sashiko
Sashiko

Die Methode, mit der Anne Neuhauser Kleidung repariert, ist bestechend. Die Deutsche, die seit 40 Jahren in Salzburg lebt, praktiziert zwei uralte japanische Textiltechniken, mit denen Löcher, Risse, abgewetzte Hemdkrägen oder zerschlissene Stellen im Stoff durch ein Zusammenspiel von Flicken (Boro) und Stickerei mit kleinen Stichen (Sashiko) ausgebessert werden.

Das Ziel ist keineswegs, die Schadstelle vergessen zu machen. Im Gegenteil: "Die Reparatur soll sichtbar sein und das Kleidungsstück zu einem individuellen Prunkstück aufwerten", sagt Neuhauser. Auch intakte Kleidung werde durch diese Techniken schöner. Aus den Resten völlig abgetragener Kleidung lassen sich auch hübsche Taschen und Beutel für die Jause nähen. "In Japan sagt man, dass ein Flicken aufgehoben werden soll, sobald drei Bohnen darin eingewickelt werden können."

Auf dem Tisch in Neuhausers Altstadtwohnung im Kaiviertel, wo sie in der Sebastian-Stief-Gasse auch das Atelier Kunst-Stiche betreibt, liegen reparierte Jeans, Blusen und T-Shirts, die so lässig ausschauen, dass sie jedes neu gekaufte Teil blass erscheinen lassen. "Das T-Shirt hat beim Einkochen von Sanddornmarmelade Flecken abbekommen, der Entfärber hat alles nur noch schlimmer gemacht", erzählt Neuhauser. Ein gesticktes Kreismuster überdeckt nun die Flecken. Neuhauser ist wohl eine der wenigen, die mit von Motten in die Kleidung gefressenen Löchern die größte Freude hat. Dem angeknabberten Kleid einer Freundin hat Neuhauser durch Stickerei mit einem Goldfaden zu einem zweiten Leben verholfen.

Der Altstadtverband konnte Neuhauser für das Kreativfestival Hand.Werk.Stadt gewinnen. Von 3. bis 17. April wird in 86 Veranstaltungen das in der Innenstadt praktizierte Handwerk gewürdigt. Das Programm reicht von geführten Werkstatttouren über Schauhandwerk und Workshops bis zum Freiluft-Töpfer-Studio am Alten Markt.

Neuhausers Workshop am 16. April ist bereits ausgebucht. Vier Plätze sind noch für den Termin am 17. April frei, wo sich alles um Visible Mending dreht, das ist eine in Asien, aber auch in Großbritannien und Skandinavien beliebte Technik zum sichtbaren Stopfen von Löchern in Wolle oder elastischen Textilien.

Genauso wichtig wie die Technik ist für Neuhauser die dahinterstehende japanische Philosophie des Mottainai, bei der es darum geht, sich die Wertschätzung für alle Dinge bewusst zu machen. "Verbunden ist damit das Gefühl des Bedauerns über die Verschwendung einer Sache, deren Wert nicht ausreichend genutzt wurde", erklärt Neuhauser. Und hinter dem Wabi-Sabi-Grundprinzip stehe die Ästhetik des Einfachen und Natürlichen. "Die Reparatur soll sichtbar bleiben, weil sie zum Stil der Kleidung beiträgt, zugleich zeigt sie Respekt gegenüber der Vergänglichkeit." Fehler an Objekten würden geschätzt, weil sie das Unvollkommene betonten.

"Ich möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass man Kleidung nicht konsumiert und dann entsorgt, sondern dass man sie pflegen muss und dass man sie durch diese Techniken auch individualisieren kann", betont Neuhauser. Sie nimmt keine Reparaturen an. "Ich möchte das Wissen weitergeben, damit die Leute selber einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten können."

Die Salzburgerin möchte auch Männer animieren, sich die Technik anzueignen. "In Japan gibt es vor allem Sashiko-Meister." Für die mentale Gesundheit sowie zum Stressabbau sei Handarbeiten nachweislich förderlich. Neuhauser, die Psychologin sowie Lebens- und Sozialberaterin ist und bis zu ihrer Pension vor allem sozialpädagogisch mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hat, entdeckte ihre Leidenschaft für Boro und Sashiko auf Reisen in Asien. Gelernt hat sie die Techniken vor 10 Jahren von Textilkünstler Walter Bruno Brix im Verein Textile Kultur Haslach in Oberösterreich, wo sie mittlerweile selbst Kurse anbietet. Kürzlich hat sie Studierende aus dem Bereich Gestaltung und Design an der Hochschule in Pforzheim unterrichtet.

Wer die Techniken erlernen möchte, findet Angebote auf Neuhausers Homepage unter www.kunst-stiche.at, ab drei Personen bietet sie individuelle Kurse an. Neuhauser ermutigt auch Anfängerinnen und Anfänger. "Verwendet wird nur der Vorstich, das ist der einfachste Stickstich der Welt, und dadurch, dass man ihn geschickt kombiniert, kann man komplexe Muster machen." Das wichtigste Utensil ist eine sehr spitze bis zu zehn Zentimeter lange Nadel mit großem Öhr. Dazu gibt es spezielle Fingerhüte. "In Europa bewegt man die Nadel, in Japan bewegt man den Stoff", erklärt sie. Das Muster zeichnet Neuhauser mithilfe eines Geodreiecks und eines radierbaren Fineliners, den man später wegbügeln kann, direkt auf den Stoff. Neuhauser verwendet japanische Garne. "Geeignet sind aber auch einfache Häkelgarne."

Neu bei Hand.Werk.Stadt ist der mobile Schneiderbus im Innenhof des Bürgerspitals, in dem Vinzenz Wimmer individuelle Reparaturservices und Beratungen zur nachhaltigen Umgestaltung alter Kleidungsstücke bietet. salzburg-altstadt.at/de/hand-werk-stadt